Nachrichten für Außenhandel (NfA)

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Europa: Vorbereitung auf den kalten Entzug von russischem Gas

Erscheinungsdatum Website: 27.06.2022 14:25:02
Erscheinungsdatum Publikation: 28.06.2022

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Lagerbestände könnten im Winter zur Neige gehen / Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones)--Das fast Undenkbare ist inzwischen eingetreten. Noch vor sechs Monaten mutete es völlig aus der Luft gegriffen an, dass Moskau die Gaslieferungen nach Berlin kappen würde. Jetzt wird dieses Szenario zunehmend das wahrscheinlichste. Deutschland hat zuletzt den Gasnotstand auf die zweithöchste Stufe angehoben. Die Änderung kam nicht unerwartet - der russische Gasriese Gazprom hatte vorletzte Woche die Gaslieferungen über die wichtige Nord-Stream-1-Pipeline gedrosselt -, ist aber dennoch ein Zeichen für die wachsende Besorgnis Berlins. Derweil ging es für die europäischen Preise für Flüssiggas und Strom, die bereits zuvor stark zugelegt hatten, weiter nach oben.

Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin jahrzehntelang unabhängig vom politischen Klima zuverlässig Gas geliefert hatte, scheint er nun bereit zu sein, seine Energiewaffe fast offen gegen seinen langjährigen europäischen Förderer einzusetzen. Moskau hat Polen und Bulgarien Anfang des Jahres den Gashahn zugedreht, doch war dies weitgehend symbolisch, da ihre Verträge bald ausliefen. Deutschland hat weniger Alternativen zu russischem Gas. Die Reduzierung der Gaslieferungen ist kühn, auch wenn sie indirekt erfolgt - Moskau beschuldigte Kanada, einen Kompressor zurückzuhalten, der in Kanadas Hoheitsgebiet gewartet wurde. Berlin ist besorgt, dass Putin noch weiter gehen könnte. Er wird die Gelegenheit dazu haben. Gazprom wird Nord Stream 1 bald für die jährliche Wartung vom Netz nehmen. Ihre Wiederinbetriebnahme könnte sich verzögern oder sogar auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Als relativ billiger und sauberer fossiler Brennstoff hat Erdgas in der Stromerzeugung, beim Heizen und in der Industrie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Pipeline-Gas ist jedoch auch eine mächtige geopolitische Waffe, da Pipelines nicht einfach verlegt werden können und der Bau neuer Leitungen Jahre dauert. Diese Inflexibilität bestraft Käufer und Verkäufer, wenn die Ströme abreißen, es sei denn, sie haben bereitstehende Alternativen. LNG schafft zwar eine gewisse Flexibilität, aber es bleibt ein begrenzter Markt. Deutschland, das zuvor eine weitere Nord-Stream-Pipeline unterstützt hatte, drängt nun auf den Bau von LNG-Anlagen.

Im vergangenen Winter befürchtete Europa, dass ihm das Gas ausgehen könnte, nachdem Gazprom seine Lagerbestände in der Region ungewöhnlich niedrig gehalten hatte. Dies erwies sich als Vorgeschmack auf die Dinge, die da kommen. Wenn die Nord-Stream-Leitungen weiterhin nur zu 45% ausgelastet sind, dürften die europäischen Speicher Anfang November zu 69% gefüllt sein. Kommt es zu einer vollständigen Abschaltung, würden die Speicher nach Schätzungen von Wood Mackenzie bei etwa 60% liegen. "In beiden Fällen werden die Lagerbestände im Laufe des Winters zur Neige gehen, sofern keine anderen Maßnahmen zur Deckung der Nachfrage oder des Angebots ergriffen werden", so Kateryna Filippenko, Analystin bei der Beratungsfirma.

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