Märkte der Welt

Der Newsletter "Märkte der Welt" enthält - nach Regionen gegliedert - wöchentliche Zusammenfassungen und Hintergrundanalysen der wichtigsten Nachrichten zur Außenwirtschaft sowie Informationen zu Auslandsaktivitäten deutscher Unternehmen unterschiedlichster Branchen. Zudem sind weiterführende Kontaktadressen mit Ansprechpartnern angegeben. Die Berichterstattung wird durch das weltweite Netz der Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) unterstützt und ist mit Grafiken und Charts angereichert.

Erdogan und der steile Fall der Lira

Erscheinungsdatum Website: 08.12.2021 13:30:03
Erscheinungsdatum Publikation: 09.12.2021

zurück zur Übersicht

Banken geraten zunehmend in Bedrängnis / Von Caitlin Ostroff

ANKARA (Dow Jones)--Die türkische Lira hat in diesem Jahr fast die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt. Derweil schießt die Inflation in die Höhe, während Investoren und Ökonomen befürchten, dass es für die angeschlagene türkische Wirtschaft noch viel schlimmer werden könnte, bevor es besser wird. Im Zentrum der Probleme steht eine unorthodoxe Wirtschaftspolitik, die vom Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorangetrieben wird. Erdogan argumentiert, dass höhere Zinssätze die Inflation anheizen und niedrigere Zinssätze sie zum Abklingen bringen. Dies ist das Gegenteil von dem, was Volkswirtschaften in der ganzen Welt im Laufe der Geschichte erlebt haben.

Erdogan hat fast jeden Wirtschaftsbeamten in Rente geschickt, der sich seinen Ansichten in den Weg gestellt hatte. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass er seine Meinung ändert. "Wir sehen nicht, dass die politischen Entscheidungsträger einen Kurswechsel anstreben und versuchen, die Investoren wieder an Bord zu holen", erläutert der Chefökonom für Schwellenländer William Jackson von Capital Economics.

Die Zinssenkungspolitik hat die Lira torpediert, die in diesem Jahr bei weitem zu den schlechtesten Geldanlagen der Welt gehört. Eine rasch schwächer werdende Währung kann eine Inflationsspirale in Gang setzen, da sie die Kosten für wichtige Importe wie Lebensmittel und Energie in die Höhe treibt.

Nationale Statistiken zeigen, dass die türkische Inflation im November gegenüber dem Vorjahr auf 21,3% nach oben geschossen ist und damit 6 Prozentpunkte über dem von der Zentralbank festgelegten Wert liegt. Ausländische Experten bezweifeln jedoch die Richtigkeit der Zahlen. Die unabhängige Inflationsforschungsgruppe Enagrup, die Tausende von türkischen Preisen auswertet, schätzt, dass die jährliche Inflation im November mehr als 58% betrug. "Niemand weiß, was zwischen der Datenerhebung und der Veröffentlichung der Daten passiert", so Veysel Ulusoy, Leiter der Inflationsforschungsgruppe. "Die Daten spiegeln nicht die Stimmung in der Gesellschaft wider."

Ein schwaches Glied, so befürchten einige, ist der türkische Bankensektor. Im September waren nach Angaben der Zentralbank in den nächsten zwölf Monaten Auslandsschulden in Höhe von rund 83 Mrd US-Dollar fällig. In der Vergangenheit konnten die Banken diese Kredite bei ausländischen Gläubigern verlängern, so dass sie ihre eigenen Währungsreserven nicht anzapfen mussten. Fraglich ist, ob die ausländischen Kreditgeber den Banken erlauben, den nächsten großen Stapel von Krediten zu verlängern, der im Frühjahr fällig wird.

Eine weitere große Sorge für die Banken: Die heimischen Kunden fliehen aus der Lira. Nach Angaben von Capital Economics sind fast 60% der Bankeinlagen inzwischen in Fremdwährungen angelegt. Ein plötzlicher Anstieg der Abhebungen türkischer Bürger von Dollar-Einlagen könnte die Banken dazu zwingen, ihre Fremdwährungsreserven zu verringern, die dann nicht mehr zur Bedienung der Auslandsschulden verfügbar wären. Letztlich könnte das die Regierung auch dazu bringen, Kapitalkontrollen einzuführen, die dann den Umfang der Abhebungen begrenzen sollen.

zurück zur Übersicht