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Schnabel: Staatsanleihekäufe gefährden EZB-Unabhängigkeit nicht

Erscheinungsdatum Website: 11.09.2020 16:45:03
Erscheinungsdatum Publikation: 14.09.2020

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FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Direktorin Isabel Schnabel ist dem Eindruck entgegengetreten, dass die milliardenschweren Staatsanleihekäufe des Eurosystems die Unabhängigkeit der Geldpolitik untergraben. Beim Eurofi Financial Forum wies sie laut veröffentlichtem Redetext auch den Vorwurf zurück, die EZB betreibe mit Anleihekäufen und Negativzinsen finanzielle Repression und wolle vor allem die Schuldenlast der Länder verringern. Schnabel zufolge führen niedrige Zinsen allerdings dazu, dass eine hohe öffentliche Verschuldung keine so große Bürde für nachfolgende Generationen mehr darstellt wie früher.

Finanzielle Repression?

Finanzielle Repression müsste zu einer Verdrängung privater Investitionen, niedrigerem Wachstum und niedrigerer Beschäftigung führen. Nach Erkenntnissen der EZB haben die 2015 begonnenen Staatsanleihekäufe aber das Wirtschaftswachstum um 1,4 Prozentpunkte gesteigert. Ohne die Auswirkungen des PSPP-Programms auf Wachstum und Inflation wäre die Schuldenquote des Euroraums also höher gewesen, argumentiert Schnabel.

Monetäre Staatsfinanzierung

Verglichen mit dem oben beschriebenen Effekt sei die Zinsersparnis der Staaten gering. Die Geldpolitik ziele nicht auf eine Senkung der öffentlichen Schuldenlast ab, sondern auf Preisstabilität.

Es gibt laut Schnabel keinen systematischen Zusammenhang zwischen dem Volumen der Staatsanleiheemissionen und den EZB-Käufen am Sekundärmarkt. Vielmehr wolle die EZB jene finanziellen Bedingungen herstellen, die eine mittelfristige Rückkehr zu Preisstabilität ermöglichen. Die Emission von Staatsanleihen sei nur einer von mehrere Faktoren, die diese Bedingungen beeinflussten. Eine Rolle spielten aber auch der nominale Wachstumsausblick oder plötzliche Änderungen der Risikobereitschaft von Investoren.

Es gibt laut Schnabel keinen direkten Zusammenhang zwischen der geldpolitischen Ausrichtung der EZB und dem Niveau der öffentlichen Schulden. Vielmehr zeige ein Vergleich mit verschiedenen Taylor-Regeln, dass der sogenannte Schattenzins (der unkonventionelle Maßnahmen in Zinssenkungen umrechnet) seit der Finanzkrise nicht weit von der EZB-Reaktionsfunktion der Jahre 2000 bis 2008 abweiche. "Der Schuldenanstieg nach der Finanzkrise scheint zu keinem strukturellen Bruch in der EZB-Reaktionsfunktion geführt zu haben, auch nicht in der aktuellen Covid-19-Krise", sagte Schnabel.

Gegen eine fiskalische Dominanz - also die Annahme, dass sich die Geldpolitik im Dienst der Fiskalpolitik befindet - spricht nach Aussage der EZB-Direktorin auch das niedrige Niveau von Inflation und Inflationserwartungen. Bei fiskalischer Dominanz würden die langfristigen Inflationserwartungen stark steigen, weil die Öffentlichkeit wie in den 1970er Jahren annehmen müsste, dass die Zentralbank die Staatsschulden monetisiert.

Marktdisziplin

Schnabel wies den Vorwurf zurück, dass die Staatsanleihekäufe der EZB die Zinsen so sehr senkten, dass Marktpreise keine disziplinierende Wirkung mehr auf Staaten hätten. Sie weist darauf hin, dass der Renditeabstand zwischen zehnjährigen italienischen und deutschen Staatsanleihen heute größer sei als zu Beginn des PSPP im Jahr 2015. Auch habe die Rendite auf die Phase politischer Instabilität im Jahr 2018 reagiert und die EZB habe sich damals nicht eingemischt. Auch reagierten Renditen auf positive Nachrichten, wie die Entwicklungen in Portugal zeigten. Schließlich seien die Risikoprämien auf europäische Staatsanleihen nicht weit von denen vergleichbarer Länder anderswo entfernt.

Schnabel machte darauf aufmerksam, dass gegenwärtig 80 Prozent der Anleihen im Euroraum nicht von den Zentralbanken des Eurosystems gehalten würden. Das entspreche in etwa dem in den USA vor Beginn der Pandemie herrschenden Niveau.

Laut Schnabel kann akuter Marktstress dazu führen, dass die Finanzierungskosten von Ländern deutlich von ihrem fundamental gerechtfertigten Niveau abweichen. Das könne zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Die Zentralbank müsse dann Liquidität bereitstellen, für Zuversicht sorgen und dem Markt dabei helfen, sich im "guten Gleichgewicht" einzupendeln. Als gelungene Beispiele nannte Schnabel die Ankündigung von Outright Monetary Transactions (OMT) durch Mario Draghi 2008 und die Ankündigung des Pandemiekaufprogramms PEPP.

Veränderte Wechselwirkung von Geld- und Fiskalpolitik

Wegen des gesunkenen realen Gleichgewichtszinses hat sich der Spielraum der traditionellen Geldpolitik stark verringert. Die Zentralbanken setzten daher unkonventionelle Instrumente ein, von denen befürchtet werde, dass ihre negativen Nebenwirkungen mit der Zeit zunähmen. Schnabel sieht drei Konsequenzen:

Die Fiskalpolitik muss mehr tun. Die Geldpolitik kann nur noch ergänzend wirken. "Unter diesen Umständen wäre es falsch, die Fiskalpolitik heute zu zügeln, um die monetäre Dominanz von morgen zu sichern", sagte Schnabel. Die Fiskalpolitik könne das Potenzialwachstum erhöhen und so für mehr geldpolitischen Spielraum in der Zukunft sorgen. Auch könne auf diese Weise möglicherweise die langfristige Staatsverschuldung gesenkt werden. Dies sollte nicht mit Modern Monetary Theory verwechselt werden, die die intertemporale Budgetbeschränkung des Staats verneine.

Die Fiskalpolitik wird wirksamer, wenn sich die Geldpolitik der effektiven Zinsuntergrenze nähert. Ein Grund ist laut Schnabel, dass ein fiskalischer Stimulus normalerweise die Erwartung einer geldpolitischen Straffung auslöst. Dagegen rechnen Investoren an der effektiven Untergrenze mit einer längeren Phase niedriger Zinsen, was den fiskalischen Impuls verstärkt.

Die Kosten der Schulden sinken für sich genommen. Länder müssen möglicherweise keinen Primärüberschuss mehr fahren, um ihre Schuldenlast zu senken oder zu stabilisieren, solange die Zinsen unterhalb des nominalen Wirtschaftswachstums liegen. "Die Wohlfahrtskosten höherer Schulden sind heute vielleicht niedriger als früher", sagte Schnabel. Allerdings warnte sie vor der Wahrnehmung, dass die aktuellen Finanzkonditionen ewig Bestand haben würden.

"Die EZB wird darauf achten, dass sie die Erholung nicht durch eine zu frühe Straffung ihrer Geldpolitik gefährdet. Aber wenn die Krise vorüber ist und die Inflation auf dem Weg zu unserem Ziel ist, muss sich die EZB zurückziehen", sagte die EZB-Direktorin. Das setze aber auch voraus, dass sich die Regierungen verpflichteten, ihrerseits finanzielle Spielräume zurückzugewinnen, sobald sich die Wirtschaft von der Krise erholt habe.

DJG/hab/rio/14.09.2020

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