Asien Aktuell

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Taiwans Triumph

Erscheinungsdatum Website: 03.09.2020 12:45:02
Erscheinungsdatum Publikation: 04.09.2020

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Geringe Infektionszahlen und stabile Wirtschaft / TAITRA startet globale Anti-Covid-19-Website

TAIPEI (NfA)--Der Inselstaat hat vorbildlich auf den Ausbruch der Covid-19-Pandemie reagiert: gut durchdacht, schnell, langfristig angelegt und zielgerichtet. Dadurch gab es dort bislang nur wenige Infizierte, Tote und wirtschaftliche Einbrüche. Die Taiwanesen konnten so auch weltweit viel Reputation aufbauen, was ihnen neue Auslandsinvestitionen bescheren dürfte. Der Taiwan External Trade Development Council (TAITRA) hat sich dem globalen Kampf gegen Covid-19 angeschlossen und die Website "www.anti-covid-19.tw" ins Leben gerufen, damit sowohl der öffentliche als auch der private Sektor relevante Informationen und Dienstleistungen aus Taiwan beziehen können.

Es wird seit Monaten über nichts intensiver diskutiert als über die erfolgreichsten Covid-19-Strategien auf dieser Erde. Das ist wenig verwunderlich: Immerhin geht es am Ende um nicht weniger als Menschenleben, die Gesundheit von uns allen und steigende Armut bei wirtschaftlichen Einbrüchen. Häufig hörte man das Argument, dass wir uns erst am Anfang der Pandemie befinden und es für einen Vergleich noch zu früh sei. Dennoch wird vom ersten Tag an fleißig verglichen. Mittlerweile ist die Corona-Krise schon ein dreiviertel Jahr alt. Und tatsächlich sind viele Länder, die zu Beginn noch gut dastanden, zwischenzeitlich deutlich in den Abwärtsstrudel geraten. Es gibt aber auch solche Nationen, die es früh stark erwischt hatte, die sich dann aber mit einer umsichtigen Covid-19-Strategie aus der Falle befreien konnten.

Und dann gibt es noch Taiwan, das vom ersten Tag an bis heute SARS-Cov-2 in seinem Inneren erfolgreich bekämpft hat. Das belegen die Zahlen. Bis Ende August traten dort nur rund 490 offizielle Corona-Infektionen und weniger als zehn Todesfälle auf. Dabei leben in der sogenannten Republik China immerhin mehr als 23 Mio Menschen, was zusammengenommen etwa der Bevölkerung der deutschen Nachbarstaaten Niederlande (17,3 Mio) und Dänemark (5,8 Mio) entspricht. In Europa, auch in Deutschland, ist es in puncto Covid-19-Fälle relativ zur Einwohnerzahl ein Vielfaches. Natürlich ist die Abstandskultur in Asien generell eine andere. Auch kann man einwenden, dass Taiwan ein Inselstaat ist, es also keine Ländergrenzen wie in Europa gibt.

Wie konnte Taiwan die Krise in Schach halten?

Dafür ist der physische Austausch mit dem nur 130 km nördlich gelegenen chinesischen Festland immens. Zwischen 800.000 und 900.000 Taiwanesen leben in Festland-China, davon arbeiten rund 400.000 auch dort. Darüber hinaus pendeln Tausende Inländer in die Volksrepublik und umgekehrt. Zum chinesischen Neujahrsfest Ende Januar gab es außerdem einen regen privaten Reisewechsel.

Und: Andere asiatische Inselstaaten wie die Philippinen sind von der Seuche viel stärker betroffen. Wie also hat es Taiwan dennoch geschafft, die zum Jahreswechsel im benachbarten China aufflammende Pandemie in Schach zu halten - und das noch dazu ohne Lockdown und Verbote? In einem Online-Beitrag der "Tagesschau" mit dem Titel ?Was Deutschland von Taiwan lernen kann? vom 21. August heißt es: ?Das liegt vor allem daran, dass Taiwan gut vorbereitet war. Seit Jahren lagerte die Regierung Masken und medizinisches Material ein.? Chen Chienjen, Taiwans ehemaliger Gesundheitsminister, wird in dem Beitrag mit folgenden Worten zitiert: "Wir haben uns 17 Jahre lang auf diese Corona-Pandemie vorbereitet. Nach dem SARS-Ausbruch waren wir mit der Vogelgrippe und der Schweinegrippe konfrontiert.?

Chronologie einer Krisenstrategie

Also fuhren die Taiwanesen ab Februar dieses Jahres die Produktion von Gesichtsmasken massiv hoch - von 2 auf fast 20 Mio Masken pro Tag. Von Anfang an hat der Inselstaat auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gesetzt und diese mit einem ausgeklügelten digitalen System rationiert an die Bevölkerung ausgegeben. Als Ende des Jahres 2019 die erste Meldung zu einem möglichen Ausbruch der Lungenkrankheit im rund 1.000 km entfernten Wuhan kursierte, hatte man Einreisende aus dieser Region noch am selben Tag untersucht, etwa durch Fiebermessen. Am 5. Januar sind die Grenzkontrollen verstärkt worden: Passagiere, die sich in den letzten 14 Tagen in China aufgehalten hatten, wurden am Flughafen kontrolliert. Am 26. Januar verhängte Taiwan ein Einreiseverbot für alle Chinesen, die aus der Provinz Hubei - dem mutmaßlichen Epizentrum der Pandemie - ankamen.

Es folgte am 6. Februar ein komplettes Einreiseverbot für alle direkt einreisenden chinesischen Staatsbürger. Gleichzeitig wurden alle Ankommenden, die in dem Land einen Zwischenaufenthalt eingelegt hatten, aufgefordert, 14 Tage in häusliche Quarantäne zu gehen. Später waren dann die Grenzen für die meisten Ausländer vorübergehend zu - frisch eingetroffene Taiwanesen mussten ebenfalls in Quarantäne. Während außerhalb Asiens zu diesem Zeitpunkt noch das ?normale? Leben pulsierte, richtete die taiwanesische Regierung schon am 20. Januar ein Krisenzentrum ein, das 120 Maßnahmen zur Folge hatte - etwa höhere Testkapazitäten, verlängerte Winterferien, helfende Soldatenhände und eine kostenlose Verteilung von Masken in Kindergärten. Auch Sitzplatzlimits und Teilnahmebegrenzungen an öffentlichen Veranstaltungen gab es in Taiwan frühzeitig - genau wie breite, teils automatische Fiebermessungen. Getestet wird generell ganz gezielt, wenn Cluster auftreten. Die Infektionsketten werden auf der Insel lückenlos nachverfolgt und Kontaktpersonen unter Quarantäne gestellt. Die Hygienestandards sind in Asien ohnehin überwiegend hoch.

Taiwan setzt auf Technologien zur Bekämpfung

Schon zum Jahreswechsel hatte sich eine Gruppe medizinischer Experten aus Taiwan im damaligen Epizentrum in Wuhan umgeschaut, um die Seuche besser einschätzen zu können. Dadurch wusste man bereits acht Tage vor der Weltgesundheitsorganisation, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Man teilte zwar sein Wissen mit der Welt, wurde aber offenbar nicht ernst genommen. Taiwan ist kein WHO-Mitglied, sondern wird dort als eine Teilregion Chinas geführt. Die WHO rief am 11. März den Pandemiefall aus. Deutschland etwa hatte erst sechs Tage später die Einreise aus China gestoppt, ganze sechs Wochen nach Taiwan.

Auch im weiteren Pandemieverlauf ließ die demokratisch gewählte Regierung um Premierminister Su Tseng-chang in Taipei nicht locker. Dabei setzte sie auch auf Techniken, die in westlichen Ländern an datenschutzrechtliche Grenzen stoßen und auch nicht mit den hiesigen Persönlichkeitsrechten vereinbar sind. Wenn jemand in Taiwan trotz Quarantäne sein Haus verlässt, muss er davon ausgehen, wegen der praktizierten GPS-Handyortung aufzufliegen. Die Behörden verhängen bei Verstößen hohe Geldstrafen.

Wirtschaft ist nicht eingebrochen

Wirtschaftlich ist Taiwan in der Krise robust geblieben. Die Arbeitslosigkeit ist zwar auf ein Rekordhoch von knapp 5% gestiegen und der private Konsum eingebrochen, wenn auch moderat. Einen Shutdown und Werksschließungen wie andernorts gab es aber nicht, obgleich man davon ausgehen musste, dass die Lieferketten massiv beeinträchtigt werden. In einem Beitrag mit dem Titel ?Gigantischer Erfolg? in der Zeitschrift ?Produktion? vom Juli dieses Jahres heißt es darüber hinaus, dass 40% der Vorprodukte für Elektronik aus China stammen. Auf Engpässe etwa im Halbleiterbereich oder bei Filtermaterialien reagierten die taiwanesischen Firmen demnach schnell, indem sie die eigene Herstellung hochfuhren. Diejenigen Unternehmen, die ihre Linien auf Maskenproduktion umstellten, sind von der Regierung finanziell unterstützt worden.

Als weitere Maßnahme hat Taiwan frühzeitig Hightech-Kapitalgüter aus Europa geordert. Dazu zählen etwa Werkzeuge und Maschinen. Außenstehende Experten wie Alexander Hirschle, Direktor für Taiwan und den Philippinen bei GTAI, finden, dass das Land gut vorausgesehen habe, dass die Corona-Krise nicht nur Asien betreffen werde. Hirschle berichtet weiter, dass es bei den Lieferungen aus China mittlerweile keine größeren Störungen mehr gebe und teilweise in der Krise die Produktion, etwa von Halbleitern, sogar gesteigert werden konnte.

Das ist einer der Gründe, warum sich Taiwan auch beim Außenhandel - getragen durch die Ausfuhren von Elektronikkomponenten und IKT-Technologien - stabil entwickelt hat, während er weltweit massiv eingebrochen ist. Weil der Inselstaat zur Hälfte von seinem Export abhängig ist, bezeichnet Hirschle die konstante Entwicklung im ersten Halbjahr als ?gigantischen Erfolg in der Krise?. Das zeige, so der GTAI-Direktor weiter, dass die Wirtschaft sehr flexibel sei und auf Nachfrage reagieren könne. So dürfte es in Taiwan auch keine Rezession geben.

Testen und elektronisches Nachverfolgen statt Lockdown

Auch der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn lobt Taiwans Strategie. In seinem Buch ?Der Corona-Schock? schreibt er: ?Statt mit einem Lockdown und Totalverboten, Restaurants, die nicht aufmachen dürfen, und einer Schließung von allen Bereichen der Freizeitgestaltung kann man mit elektronischen Mitteln und einer Verfolgung der Infizierten sowie mit einer dramatischen Erhöhung der Testkapazität gezielter eingreifen, um neue Infektionswellen frühzeitig zu bekämpfen, ohne dass man die gesamte Wirtschaft lahmlegt.? So hätten es die Taiwanesen gemacht [?], wo intelligente Apps entwickelt wurden.

Dadurch konnte sich der Inselstaat weltweit viel Reputation aufbauen - sicher auch unter potenziellen Investoren aus dem Ausland. Die dortige Regierung und GTAI-Direktor Alexander Hirschle gehen davon aus, dass sich verstärkt Firmen in Taiwan niederlassen, um ihre Lieferketten aufgrund der Pandemie künftig zu diversifizieren.

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