Nachrichten für Außenhandel (NfA)

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Lateinamerika: "Ein Vertrag, der den Außenhandel erleichtert"

Erscheinungsdatum Website: 09.06.2020 15:55:02
Erscheinungsdatum Publikation: 10.06.2020

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HAMBURG (NfA)--Während Europa die Pandemie langsam unter Kontrolle zu bekommen scheint, schlägt sie in Lateinamerika mit voller Kraft ein. Doch nicht jeder ist gleich stark betroffen, wie Orlando Baquero, Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika Vereins, im Gespräch mit NfA-Redakteur Marian Pawelka erklärt. Zudem erklärt Baquero, wie der aktuelle Stand beim EU-Mercosur-Freihandelsabkommen ist.

Herr Baquero, welche Länder sind derzeit denn wirtschaftlich am stärksten von Covid-19 betroffen?

Der Großteil der lateinamerikanischen Länder hat sehr schnell und diszipliniert agiert, um die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu bringen. Auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen, die in den meisten Ländern vorgenommen wurden, ähneln sich stark. Natürlich bleiben diese Maßnahmen nicht ohne negative Folgen, die wir aber erst am Ende der Quarantäne wirklich messbar machen können.

Ein großer Unterschied liegt jedoch in der jeweiligen Ausgangslage, in der sich die lateinamerikanischen Länder vor Beginn der Krise befanden. Besonders hart ist die Situation in Venezuela, denn mit einer vollständig kollabierten Wirtschaft und einem desaströsen Gesundheitssystem sind die Folgen der nun noch hinzukommenden Krise, unabsehbar. Auch Kuba - ein Land, das schon mit dem Embargo hart zu kämpfen hat - trifft diese neue Krise empfindlich. Andere Länder wie beispielsweise Argentinien oder Ecuador leiden unter einer extrem hohen Staatsverschuldung und haben somit natürlich nur sehr begrenzte Möglichkeiten, der Wirtschaft mit staatlichen Mitteln wieder auf die Beine zu helfen. Wiederum andere Länder, die wirtschaftlich etwas besser aufgestellt sind, müssen in deren Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen betrachten werden. So muss zum Beispiel in Chile und Peru genau geprüft werden, ob oder wie sich die Preise für Kupfer in nächster Zeit entwickeln werden. Gleiches gilt für Ecuador, Kolumbien und Venezuela mit dem Rohstoff Öl. Und dann haben wir die zwei großen Länder der Region mit eher erratischen Maßnahmen und populistischen Aussagen: In Brasilien auf dem politischen Wege, in Mexiko eher in wirtschaftlicher Hinsicht. Und natürlich, Zentralamerika leidet sehr unter den fehlenden Rücküberweisungen aus dem Ausland, der Karibik fehlen die Einnahmen aus dem Tourismussektor.

Bisher konnte sich die Region auf sprudelnde Rohstoffeinnahmen verlassen - das ist nun erstmal vorbei. Welche Perspektive gibt es heute?

Es scheint, dass der Superzyklus von Hochpreisen bei Rohstoffen vorerst ein Ende gefunden hat. Aber solche Veränderungen gab es schon oft in der Vergangenheit. Heute ist der Export von Rohstoffen weiter diversifiziert und somit wurde die Abhängigkeit von einzelnen Produkten vermindert.

Auch die Absatzmärkte für die Rohstoffe und Halbfertigprodukte haben sich erhöht. So ist heute der chinesische Markt der wichtigste für Lateinamerika und hat Nordamerika und Europa hinter sich gelassen. Aber neben den traditionellen Rohstoffen haben andere Sektoren an Bedeutung gewonnen. So wird der Tourismus immer wichtiger und das nicht nur für die Karibik, darüber hinaus wächst und entwickelt sich der Dienstleistungssektor stark. Auch eine sehr interessante Entwicklung ist das Aufleben einer starken Start-up Szene. Zum Beispiel in Chile und Uruguay, wo ein sehr gutes System für Innovation und Unternehmergeist geschaffen wurde, floriert die Szene.

Aber trotz all dieser Maßnahmen und leichten Verbesserungen ist die Abhängigkeit zu einzelnen Rohstoffen noch sehr hoch und somit auch die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt weiter anfällig.

Im Geschäft mit Lateinamerika müssen deutsche Betriebe mit Unsicherheiten leben. Welche Länder bieten derzeit denn die stabilsten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen?

Unsicherheiten sind Teil eines Engagements in Lateinamerika. Je nach Region gab und gibt es politische und wirtschaftliche Unsicherheiten, oder auch die Gefahr von Naturkatastrophen. Doch die lateinamerikanische Region ist divers und darf nicht verallgemeinernd beurteilt werden.

Es zeigt sich immer wieder, dass sich Aktivitäten vor Ort lohnen, denn deutsche Unternehmen waren oft sehr erfolgreich in der Region und haben stets gezeigt, dass Mut, gute Vorbereitung und gute Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten notwendig sind, um in der Region erfolgreich zu bestehen.

Momentan verändert sich die Lage sehr schnell, sogar Länder, die als sehr stabil galten, haben in letzter Zeit politische, soziale oder wirtschaftliche Unruhen erlebt. Dies geschah jedoch bereits vor der Pandemie und derzeit können wir nur abwarten, wie die einzelnen Länder mit der Pandemie umgehen. Doch nicht alle Länder der Region zeichnen sich durch eine zunehmende Unsicherheit aus. Positiv hervorheben können wir unter anderem Uruguay und Costa Rica, als Beispiele von Stabilität und klaren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen.

Wo liegen denn die deutschen Stärken in den Wirtschaftsbeziehungen zu Lateinamerika?

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika haben eine traditionsreiche Geschichte. Nicht nur die oft erwähnten gemeinsamen Werte, sondern insbesondere die lange Erfahrung miteinander, zeichnet die besondere Beziehung beider Regionen zueinander aus.

Zum einen sind deutsche Unternehmen seit Langem in Lateinamerika präsent, zum anderen tragen aber auch viele deutsche Auswanderer, die in den letzten 200 Jahren in die Region ausgewandert sind, zu dieser engen Bindung bei.

Deutsche Produkte, deutsche Technologien, auch das deutsche Bildungssystem werden hoch geschätzt und respektiert. In Lateinamerika genießt Deutschland einen sehr guten Ruf, der auch zurzeit, durch das Krisenmanagement während der Covid-19-Pandemie, gewahrt wird. Dennoch liegt das Engagement deutscher Unternehmen unter den eigentlichen Möglichkeiten. Wir hoffen, dass jetzt, wo neue Lieferketten an Bedeutung gewinnen, sich ebenso neue Möglichkeiten durch die Notwendigkeit des Wiederaufbaues für deutsche Firmen ergeben werden. Etwas enttäuschend ist natürlich das Signal des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, da die Kooperation mit lateinamerikanischen Staaten nicht weiter verlängert werden soll.

Die EU und der südamerikanische Staatenbund Mercosur haben sich vor ziemlich genau einem Jahr auf ein auf umfassendes Freihandelsabkommen geeinigt. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Nach der Einigung wird jetzt der Vertrag aufgesetzt, der zeitnah in alle offiziellen Sprachen der Europäischen Union übersetzt wird. Danach beginnt der Ratifizierungsprozess durch die einzelnen Länder. Auch die Mitglieder des Mercosur müssen einzeln den Vertrag billigen. Wir hoffen, dass während der deutschen Ratspräsidentschaft der Vertrag ratifiziert wird. Es wäre die beste Gelegenheit für Europa zu zeigen, dass auf den viel gepriesenen Multilateralismus nun Taten folgen. Leider ist in der Öffentlichkeit ungenau über das Abkommen berichtet worden und so entstand in einigen Ländern Widerstand, der sich hoffentlich bald legen wird.

Welche Branchen würden denn besonders profitieren?

Im Prinzip ist es ein Vertrag, der den Außenhandel erleichtert und begünstigt. So sind die Exporte von Maschinen, Autos und Autoteilen wichtig, aber natürlich auch Chemie, Pharma, Medizintechnik profitieren von den reduzierten Einfuhrzöllen. Somit sind europäische Produkte wettbewerbsfähiger gegenüber der internationalen Konkurrenz. Aber natürlich profitieren von dem Abkommen auch Unternehmen aus den Mercosur-Staaten, die ihre Produkte günstiger bekommen können. Neben den Kostenvorteilen wird es einen erhöhten Technologietransfer geben und somit eine Annäherung in technologischen Fragen und Prozessen. Auch Zollverfahren werden ebenso wie der Zugang zu öffentlichen Aufträgen vereinfacht.

Aber auch die Landwirtschaft wird stark profitieren, und zwar nicht nur in den Mercosur-Staaten. Selbstverständlich werden die Mercosur-Staaten Vorteile speziell in der Agroindustrie haben, doch auch die Landwirtschaft in Europa wird durch das Abkommen gestärkt.

Über 350 Ursprungsbezeichnungen wurden gegenseitig aufgenommen und sind somit geschützt. Viele Nahrungsmittel und Landwirtschaftsprodukte haben heute sehr hohe Zolltarife, die mit dem Abkommen reduziert oder abgeschafft werden. So zum Beispiel Olivenöl, Wein und Spirituosen, Käse, Milchpulver und andere.

Die Sicherheit für die Erzeuger in Europa wird durch das Abkommen gestärkt. Am Ende werden die Verbraucher an beiden Seiten des Atlantiks profitieren. Ein wichtiger Hinweis sei hier, dass - entgegen häufiger Behauptungen - keine neue Risiken für Verbraucher entstehen, da der Europäische Verbraucherschutz durch dieses Abkommen nicht verändert wird, und so müssen weiterhin jegliche Importe die Auflagen und Normen des Verbraucherschutzes erfüllen.

Das Abkommen schafft Transparenz, weshalb letztendlich ?unsichere? Produkte unseren Märkten leichter fernbleiben. Beispielsweise wird mit Inkrafttreten des Abkommens eine Arbeitsgruppe aufgebaut, um antibiotikaresistente Keime zu bekämpfen und somit insgesamt die Nahrungsmittelsicherheit zu verbessern. Dies wird in enger Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen geschehen. Auch werden ein strukturierter Dialog und Austausch geschaffen, um den Tierschutz zu regeln und insgesamt zu verbessern. Auch der Umweltschutz wird von dem Vertrag profitieren, denn im Abkommen wird ausdrücklich auf die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens hingewiesen und alle Parteien verpflichten sich auf die Einhaltung. Darüber hinaus ist das Einhalten der lokalen Umweltgesetzgebung Bestandteil des Abkommens.

Bis jetzt ist der Zugang zu den Mercosur-Staaten sehr schwer und kostspielig. Durch das Abkommen werden insbesondere die Märkte für kleine und mittelständische Unternehmen profitieren und gerade innovativen Unternehmen wird der Gang nach Lateinamerika erleichtert.

Aber am wichtigsten ist, dass es eine Plattform des offenen, gleichberechtigten Austausches schafft, wo die EU und der Mercosur sich austauschen können, Probleme besprochen und gemeinsam Lösungen gefunden werden können.

Das Abkommen beinhaltet beispielsweise die Verpflichtung Brasiliens, die Treibhausgase um 37%, gemessen am Stand von 2005, zu reduzieren. Des Weiteren gilt für Brasilien die Verpflichtung, illegale Entwaldung einzudämmen und 12 Mio ha wieder aufzuforsten. Es beinhaltet aber auch die Verpflichtung der EU, lokale Emissionen mindestens um 40% bis 2030 zu reduzieren. Außerdem ist an dieser Stelle wichtig darauf hinzuweisen, dass, wenn die EU diese Möglichkeit der Annäherung an Lateinamerika verpasst, andere Wirtschaftsmächte diese Rolle einnehmen werden, und es werden die Standards und Handelspraktiken derer die wichtigste Rolle spielen.

Schließlich ist dieses Abkommen ein starkes Signal für den Multilateralismus, für einen regelbasierenden Handel und für die Bedeutung Lateinamerikas für Europa. Die Möglichkeit, auf Augenhöhe Diskrepanzen oder Probleme zu besprechen, ist das beste Zeichen für Völkerverständigung.

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