Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Berenberg: BVerfG weist mit PSPP-Urteil auf Mängel im Politikmix hin

Erscheinungsdatum Website: 19.05.2020 16:55:02
Erscheinungsdatum Publikation: 20.05.2020

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FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) kann der Forderung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach einer besseren Begründung des Staatsanleiheprogramms PSPP aus Sicht der Berenberg Bank nicht nachkommen, ohne ihre Unabhängigkeit zu riskieren. Gleichwohl sieht die Bank in dem viel diskutierten Urteil einen berechtigten Anstoß dazu, die Lasten der Krisenbewältigung im Euroraum stärker in Richtung der Fiskalpolitik zu verlagern und damit die EZB zu entlasten.

Zur Vorgeschichte: Das Bundesverfassungsgericht hatte der EZB vorgeworfen, die Verhältnismäßigkeit des Staatsanleihekaufprogramms PSPP nicht ausreichend begründet zu haben. Die Karlsruher Richter werfen der EZB vor, bei der Abwägung von Nutzen und Schäden der Käufe, die wirtschaftspolitischen Nebenwirkungen nicht hinreichend zu berücksichtigen.

Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der das PSPP als rechtmäßig eingestuft hatte, warfen die Karlsruher Richter methodische Fehler vor. Die EZB soll nach dem Willen der Karlsruher Richter binnen drei Monaten nachweisen, dass das PSPP angemessen ist. Andernfalls darf die Bundesbank als Teil des Eurosystems nicht mehr am PSPP teilnehmen.

Das Gericht hätte nicht die EZB, sondern die Bundesbank auffordern sollen, die Verhältnismäßigkeit von Staatsanleihekäufen zu begründen. Laut Hense sollte jetzt tatsächlich die Bundesbank einen Sonderbericht zum PSPP anfertigen, den der EZB-Rat, um die Forderung des Verfassungsgerichts zumindest indirekt zu erfüllen, begrüßen könnte. Die EZB selbst darf laut Hense auf keinen Fall auf das Ultimatum eines nationalen Verfassungsgerichts reagieren.

Die EZB will im Rahmen ihrer Strategieprüfung ohnehin die Politikinstrumente auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen abklopfen, also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anstellen. Hense zufolge könnte die EZB eine solche Prüfung zum Bestandteil ihrer halbjährlichen Berichte an das Europaparlament machen. Nationale Zentralbanken könnten diese Einschätzung ihren Parlamenten gegenüber verwenden.

Die EZB muss in akuten Krisen wie der aktuellen in der Lage sein, angemessen zu reagieren. Daran sollte sie laut Berenberg auch nicht durch ein Emittentenlimit gehindert werden. Die Beibehaltung des EZB-Kapitalschlüssel als Orientierungsgröße bei Staatsanleihekäufen findet die Bank dagegen angemessen, so lange der Euroraum aus souveränen Mitgliedsstaaten besteht.

Nach dem Ende der akuten Corona-Krise wird die EZB laut Hense ihr Pandemiekaufprogramm PEPP zurückfahren müssen, mit dem sie derzeit das Auseinanderlaufen der Staatsanleiherenditen bremst. Von da an müssten die Mitgliedsstaaten Ländern in Not mit besonders günstigen ESM-Krediten helfen. Wenn nötig könnte diese Kredite mit Anleihekäufen im Rahmen eines OMT-Programms verbunden werden.

Eine europäische Wirtschaftspolitik, in der die EZB mehr oder weniger der einzige Akteure ist, ist langfristig nicht im Interesse des Euroraums. Für die nächsten Jahre hält Berenberg eine stärkere finanzielle Lastenteilung für zielführend, die mit wachstumsfreundlichen Reformen verknüpft werden sollte. Den aktuellen deutsch-französischen Vorschlag eines Wachstumsfonds von 500 Milliarden Euro hält Hense für gut. Die Tragfähigkeit der Staatsschulden sollte seiner Meinung nach nicht durch Einsparungen, sondern durch langfristige Strukturreformen sichergestellt werden.

DJG/hab/apo

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