Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Institute empfehlen Aufgabe der schwarzen Null

Erscheinungsdatum Website: 04.10.2019 17:40:02
Erscheinungsdatum Publikation: 07.10.2019

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BERLIN (Dow Jones)--Die führenden deutschen Konjunkturforscher haben ihre Prognosen für das Wachstum gesenkt und zugleich von der Politik eine Abkehr von der schwarzen Null im Bundeshaushalt verlangt, um dringend benötigte Finanzmittel frei zu machen. "Wir halten ein Festhalten an der schwarzen Null für grundfalsch", sagte der Chefökonom des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claus Michelsen.

In ihrem Herbstgutachten korrigierten die Ökonomen ihre Konjunkturprognose für Deutschland noch einmal deutlich nach unten. Sie erwarten nun für 2019 einen Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,5 Prozent, nachdem sie im Frühjahr 0,8 Prozent Wachstum vorausgesagt hatten. Für 2020 gehen sie nun nur noch von 1,1 Prozent Wachstum aus. In ihrem Frühjahrsgutachten hatten die Ökonomen noch 1,8 Prozent prognostiziert. Für 2021 sagen die Institute in ihrem Gutachten dann ein BIP-Plus von 1,4 Prozent voraus.

Michelsen betonte, die schwarze Null sei "für sich genommen als Ziel keine vernünftige Wirtschaftspolitik", denn sie lasse kein antizyklisches Schwanken der öffentlichen Ausgaben zu. "Man spart dem Abschwung hinterher und verstärkt eher negative Tendenzen." Der Ökonom empfahl deshalb, die Möglichkeiten der Schuldenbremse zu nutzen, die dem Bund neue Schulden bis zu 0,35 Prozent des nominellen BIP erlaubt. "Zwischen der Schuldenbremse und der schwarzen Null gibt es einen Finanzierungsspielraum, der zur Verfügung steht und den man nutzen sollte", sagte Michelsen.

Industrie in der Rezession

Die Gründe für die konjunkturelle Abkühlung seien "in erster Linie in der Industrie zu suchen", erklärten die Wirtschaftsforscher in ihrem Gutachten. Eine regelrechte Konjunkturkrise erwarten sie aber ebensowenig, wie sie kurzfristige Konjunkturprogramme propagierten. "Eine Konjunkturkrise mit einer ausgeprägten Unterauslastung der deutschen Wirtschaft ist somit trotz rückläufiger Wirtschaftsleistung im Sommerhalbjahr 2019 nicht zu erwarten, wenngleich die konjunkturellen Abwärtsrisiken derzeit hoch sind", erklärten sie.

"Die deutsche Industrie befindet sich in einer Rezession, die inzwischen auch auf die unternehmensnahen Dienstleister durchschlägt", erklärte Michelsen. Seit dem Frühjahr hätten sich die Konjunkturrisiken verschärft. Hoch seien vor allem die Risiken, die von einer Eskalation des US-chinesischen Handelskonflikts ausgingen. "Aber auch ein ungeregelter Brexit hätte Kosten", betonte er. Das BIP würde in Deutschland dadurch 2020 um 0,4 Prozent niedriger ausfallen als bei einem geregelten Austritt. Die Institute sahen allerdings insgesamt "angesichts der konjunkturellen Lage keinen Bedarf für kurzfristig angelegte Interventionen der Wirtschaftspolitik".

Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sah konjunkturelle Normalzeiten. "Wir sind uns einig, dass wir noch keine Krisenzeiten haben", sagte er. Eine Diskussion über die schwarze Null wäre "das falsche Thema zur falschen Zeit", meinte Altmaier, der sich durch das Gutachten der Ökonomen in seiner bereits im Frühjahr gestellten Prognose von 0,5 Prozent Wachstum bestätigt sah. Das sei damals als Zweckpessimismus bezeichnet worden. "Aber wir haben Recht behalten." Nötig sei jetzt eine kluge Finanz- und Steuerpolitik, die den Unternehmen mehr Luft zum Atmen gebe.

Die Wirtschaft mahnte denn auch positive Signale der Politik an. Damit Deutschland ein attraktiver Standort für die Unternehmen bleibe, bräuchten die Betriebe "bezahlbare Energie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, einen schnelleren, auch digitalen Infrastrukturausbau und ein wettbewerbsfähiges Steuersystem", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. Die seit vier Quartalen rückläufige Industrieproduktion sei "ein Alarmsignal".

BDI: Schwarze Null darf kein Dogma sein

Ein attraktiverer Rahmen für Investitionen und Innovation am Standort Deutschland sei "der Schlüssel für den Weg aus der derzeitigen wirtschaftlichen Flaute", meinte auch der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Holger Bingmann. Keinesfalls erforderlich seien dazu kostspielige Konjunkturprogramme. Investitionen müssten vielmehr zeitnah geplant und umgesetzt werden können.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) stellte sich allerdings ausdrücklich hinter die Forderungen der Forscher nach einem Abrücken vom ausgeglichenen Haushalt. "Das Festhalten an der schwarzen Null im kommenden Jahr darf kein Dogma sein", sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. "Alte Konzepte helfen angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht weiter, da liegen die Wirtschaftsforscher mit ihrer Analyse vollkommen richtig." Die Finanzpolitik solle allen vorhandenen Spielraum nutzen, um sich frühzeitig auf die härteren Zeiten einzustellen. Lang forderte ein Sofortprogramm zur Stärkung privater und öffentlicher Investitionen.

Unterstützung für die Ökonomen kam auch aus Teilen der Bundestags-Opposition. "Dass die Regierung schon nahezu stur an der schwarzen Null festhält, ist angesichts der klaren Empfehlung der Wirtschaftsinstitute schwer zu ertragen", sagte die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Anja Hajduk. Es sei Zeit für eine beherzte Investitionsoffensive. "Leider weigern sich sowohl Peter Altmaier als auch die gesamte Regierung, das anzuerkennen", kritisierten Hajduk und die Grünen-Wettbewerbsexpertin Katharina Dröge.

DJG/ank/sha/07.10.2019

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