Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Ökonomen kritisieren die deutsche Schuldenbremse

Erscheinungsdatum Website: 21.08.2019 16:45:03
Erscheinungsdatum Publikation: 22.08.2019

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BERLIN (Dow Jones)--Spätestens seit vergangene Woche eine Schrumpfung der deutschen Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,1 Prozent bekanntgegeben wurde, findet eine breite Debatte über den richtigen Kurs der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik statt. Dabei mehren sich die Forderungen nach einem Konjunkturpaket. Viele Volkswirte vertreten aber einen grundsätzlicheren Ansatz: Sie kritisieren die Regeln der deutschen Schuldenbremse. Doch für deren Novellierung müsste das Grundgesetz geändert werden - ein eher schwieriges Unterfangen.

Die Schuldenbremse sei "ökonomischer Unsinn", erklärte der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien. Sie unterscheide nicht, ob Kredite für Konsumausgaben oder für Investitionen aufgenommen würden und verhindere damit, dass der Staat derzeit Schulden aufnimmt, um damit zu investieren. Das wäre aber "angesichts niedriger Zinsen und riesiger Investitionsbedarfe wirtschaftlich vernünftig", sagte Dullien zu Dow Jones Newswires.

Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund eine strukturelle, um konjunkturelle Faktoren bereinigte Nettokreditaufnahme von bis zu 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Viele Ökonomen halten diese Regel für zu starr. Die Bundesregierung hält aber seit Jahren sogar an einer schwarzen Null in ihrem Haushalt fest, also einem ausgeglichenen Budget ohne neue Schulden, was inzwischen nicht nur viele Volkswirte, sondern auch führende Verbände der deutschen Wirtschaft kritisieren.

"Goldene Regel" soll Spielraum schaffen

Dullien nannte die schwarze Null "ökonomisch noch dümmer als die Schuldenbremse", weil unter einer Politik der schwarzen Null nicht einmal unterschieden werde, ob der Staatshaushalt wegen einer schlechten Konjunktur oder wegen höherer Staatsausgaben ins Minus rutsche und jede Verschuldung ausgeschlossen werde. "Die Frage ist allerdings, mit welcher Strategie man nun den Schaden durch die Schuldenbremse am besten begrenzen kann", hob er hervor.

Schließlich stehe sie im Grundgesetz. Langfristig sollte man versuchen, die Regeln im Grundgesetz um eine sogenannte "goldene Regel" zu erweitern, mit der der Staat zumindest für Investitionen wieder Kredite aufnehmen könne, schlug Dullien vor. Bis dahin sollte man versuchen, die Spielräume der Schuldenbremse zu nutzen, etwa, indem der Staat über Anstalten öffentlichen Rechts Kredite aufnimmt und damit investiert. "Bei richtiger Gestaltung wäre eine solche Politik mit der Schuldenbremse vereinbar", sagte Dullien.

Ähnlich argumentierte der Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller. "Ich finde die Schuldenbremse, so wie sie exakt spezifiziert ist, nicht besonders sinnvoll", sagte er mit Blick auf die für den Bund festgelegte Schuldengrenze. Die Grenze auf die zweite Nachkommastelle eines erst zu schätzenden Wertes festzulegen, nannte Holtemöller "keine besonders gute Schuldenbremse".

Breiter Konsens nötig

Sie jetzt zu ändern, binde aber politische Kräfte, warnte er. "Deutschland hat wichtigere Probleme, als jetzt die Verfassung bezüglich der Schuldenbremse zu ändern." Wichtiger seien Investitionen in Bereiche, die die Wirtschaftskraft erhöhten. Die schwarze Null solle dafür aufgegeben werden, befand auch Holtemöller. Sie verlange "letztendlich prozyklisches fiskalisches Handeln", und in einer schlechteren Konjunkturlage mit potenziell weniger Steuereinnahmen und mehr Ausgaben "macht es ökonomisch wenig Sinn, an einem ausgeglichenen Haushalt festzuhalten".

Der Chefökonom des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claus Michelsen, erneuerte die Forderung seines Instituts nach einem neuen Kurs in der Finanzpolitik, einer Überwindung des "Dogmas der schwarzen Null" und einer Reform der Regeln der Schuldenbremse. "Man braucht einen breiten politischen Konsens darüber, was gemacht werden soll", stellte er aber auch klar. Auch Michelsen verwies unter anderem auf die "goldene Regel", die Schulden für Investitionen erlaube.

Als eine Möglichkeit könne man etwa Ländern und Kommunen weiter das Schuldenmachen verbieten, dem Bund aber "größere Spielräume" geben. "Und der Bund übernimmt dafür Aufgaben, die vorher bei den Kommunen angesiedelt waren und unterstützt die Kommunen auf diese Weise", regte der DIW-Konjunkturchef an. Eine andere Variante wäre eine Übernahme der Altschulden der Kommunen durch den Bund. Auch Michelsen nannte die Grenze von 0,35 Prozent sehr streng. "Wir haben ja im europäischen Rahmen 0,5 Prozent." Eine Anpassung brächte allein Milliarden Euro an Spielraum.

DJG/ank/bam

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