Asien Aktuell

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Beijings Ohnmacht

Erscheinungsdatum Website: 07.08.2019 09:25:10
Erscheinungsdatum Publikation: 08.08.2019

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Auf das Reich der Mitte kann sich die Weltwirtschaft immer weniger verlassen

BEIJING (Dow Jones)--Lange machten sich die USA Sorgen wegen Chinas wachsender Macht, doch nun könnte es Beijings Ohnmacht sein, die für Kummer sorgt. Den Zentralbanken wird zugutegehalten, dass sie der Weltwirtschaft seit der Finanzkrise vor über einem Jahrzehnt eine wichtige Stütze waren. Gerade griff die US-Notenbank wieder ein und senkte die Zinsen, um einen drohenden Abschwung abzuwenden. Die ganze Zeit über hatte auch China einen erheblichen Beitrag zur Konjunktur geleistet, wenn das globale Wachstum ins Stocken geriet. Mit Geld aus Beijing wurden Gebäude, Straßen und Flughäfen gebaut. Unternehmen und deren Mitarbeiter auf der ganzen Welt profitierten davon.

Nun beobachten Experten mit Sorge, wie diese Kraft zu schwinden droht. Das asiatische Riesenreich hat selbst mit einem strukturellen Abschwung zu kämpfen. Darüber hinaus deuten die Daten darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum nicht mehr so stark wie bisher auf andere Länder und Märkte ausstrahlt.

Im zweiten Quartal verzeichnete das Reich der Mitte das schwächste Wachstum seit 1992 und sorgte damit für Schlagzeilen. Der Handel leidet, und das spürt laut den jüngsten Quartalsergebnissen auch die US-Wirtschaft. In der Eurozone bleibt zwar der Dienstleistungssektor in robuster Verfassung, aber die exportabhängige Produktionstätigkeit fiel auf das niedrigste Niveau seit fast sieben Jahren.

Es handelt sich hierbei um kein Problem, das bald verschwinden wird, selbst wenn neue Handelsgespräche mit den USA zu Ergebnissen führen sollten. Chinas Probleme waren schon lange da, auch bevor Donald Trump mit Strafzöllen kam. Das rasante Wachstum der vergangenen Jahre auch in einer Zeit zu erhalten, in der Beijing bereits technologisch zu den meisten Industrieländern aufgeschlossen hat, war immer eine gewaltige Aufgabe.

Die Herausforderung scheint umso größer angesichts des gewaltigen Schuldenbergs, den das Land abzutragen hat. Jede neue Runde von Stimulanzen für die Wirtschaft hat ihre Spuren bis in die hintersten Winkel des Finanzsystems hinterlassen, einschließlich der lokalen Behörden, die bei sogenannten Schattenbanken tief in der Kreide stehen.

Die jüngste Abkühlung ließ Beijing keine andere Wahl, als die Fiskalpolitik neu auszurichten. Laut JPMorgan Chase hatte das Ende vergangenen Jahres aufgelegte Konjunkturprogramm einen Umfang, der 5,6% des Bruttoinlandsprodukts entsprach. Damit lag es auf fast gleicher Höhe mit dem Stimulus von 2015, bei dem Summen im Umfang von 5,4% in die Wirtschaft gepumpt wurden. Dennoch war das Paket nur noch halb so schwer, wie das gigantische Programm von 2008 mit einem Volumen von 580 Mrd US-Dollar.

Trotzdem reagiert die Wirtschaft nur träge. Ein Teil des Problems ist, dass sich die Zentralregierung in Beijing finanziell nur ungern zu weit aus dem Fenster lehnt. Sie hat es vermieden, selbst mehr Schulden zu machen, und Steuersenkungen der direkten Schaffung von Arbeitsplätzen vorgezogen.

Das Hauptproblem für den Rest der Welt ist jedoch, dass der Anteil der Investitionen, die in andere Länder fließen, abnimmt. Bhanu Baweja, Ökonom bei der UBS, warnt schon lange davor, dass das Welt-Importwachstum im Verhältnis zur Zunahme des Bruttoinlandsprodukts wieder auf den Stand von vor 1980 zurückfällt. Das bedeutet: Der Erfolg eines Landes kommt seinen Handelspartnern nicht mehr in dem Umfang zugute wie früher. Die Globalisierung befindet sich damit auf dem Rückzug.

Zwischen 2011 und 2018 bedeutete jeder zusätzliche Punkt des weltweiten BIP-Wachstums eine Steigerung der Importe um 1,4%. In den Jahren der beschleunigten Globalisierung zwischen 1986 und 2008, als China zur wirtschaftlichen Supermacht aufstieg, lag der Faktor hingegen bei 2,2%. In den vergangenen zwölf Monaten waren es nur noch 0,6%.

Teilweise ist dies auf die Ölschiefer-Ausbeutung zurückzuführen, die die Abhängigkeit der USA von ausländischer Energie deutlich verringerte. Daneben gibt es auch allgemeinere Gründe, wie die Verlagerung der Produktion näher zu den Kunden in anderen Märkten.

Chinas Importbedarf ist in den vergangenen 15 Jahren jedoch ebenfalls zurückgegangen, da die inländische Produktion immer ausgefeilter wurde und weniger Stahl und Maschinen aus dem Ausland benötigt wurden. Interessant ist, dass die kürzlich veröffentlichten US-Handelsbilanzdaten zeigten, dass das Reich der Mitte nicht mehr der größte Handelspartner der USA ist.

Diese Entwicklung der reduzierten Importe scheint unumkehrbar. Der chinesische Technologieriese Huawei zum Beispiel hat auf die Einschränkungen bei Belieferungen durch US-Unternehmen reagiert und plant nun, ein eigenes Betriebssystem einzuführen, um Googles Android zu ersetzen.

Ohne Aussicht darauf, die Exporte ins Reich der Mitte zu steigern, ist unklar, wo die westlichen Volkswirtschaften ihren nächsten großen Absatzmarkt finden wollen.

Nach den 1970er-Jahren hielten viele Nationen auf der ganzen Welt die Inflation durch Begrenzung des Lohnwachstums in Schach. Schulden, oftmals finanziert über den Anstieg der Immobilienpreise, haben Verbrauchern und Wirtschaft durch die Flaute geholfen. Als die Schuldenblase 2008 platzte, wurden das chinesische Wachstum und die Geldpolitik der Zentralbanken zu den Motoren, die die Weltwirtschaft am Laufen hielten.

Niedrige Zinsen haben sich jedoch als weitgehend wirkungslos erwiesen, um die Ausgaben wieder anzuregen. Und China wird nicht mehr das Sicherheitsnetz für die Weltwirtschaft sein, das es früher einmal war. Irgendwann müssen sich die politischen Entscheidungsträger möglicherweise wieder der früheren Ära des Lohnwachstums und der aktiven Fiskalpolitik besinnen, um sich inspirieren zu lassen.

Noch können sich zum Beispiel die USA durch eine stärkere Ausrichtung auf die inländische Wirtschaft vor einer Rezession schützen und eine Ansteckung an der chinesischen Schwäche vermeiden. Bei weiteren Aussetzern der Weltwirtschaft brauchen Anleger jedoch einen neuen Wohltäter.

Jon Sindreu

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