Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Deutschland beim IWF unter Druck, das Wachstum zu stimulieren

Erscheinungsdatum Website: 15.04.2019 16:40:05
Erscheinungsdatum Publikation: 16.04.2019

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WASHINGTON (Dow Jones)--Da sich die Weltwirtschaft abschwächt und es Anzeichen gibt, dass sie Unterstützung braucht, zeigen Ökonomen mit dem Finger auf Deutschland und einige andere Länder, die in der Lage wären, Impulse zu setzen, es aber nicht tun. Welche Anreizmaßnahmen politische Entscheidungsträger zur Unterstützung ihrer nachlassenden Volkswirtschaften ergreifen können, war ein zentrales Thema bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington.

In seinem Jahresbericht über die globale Finanzpolitik hat der IWF Deutschland, Korea und Australien als Länder genannt, in denen fiskalische Impulse sinnvoll sein könnten. Anfang dieses Monats hatte der IWF auch die Schweiz aufgefordert, die öffentlichen Ausgaben zu erhöhen.

Der IWF, unterstützt von den USA, hat Deutschland und andere Länder mit Haushaltsüberschüssen gedrängt, Steuern zu senken oder die Ausgaben zu erhöhen, um das Wachstum zu stützen. Länder mit Haushaltsüberschüssen "sollten diese sicherlich nutzen, um zu investieren und an der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Wachstum teilzunehmen", sagte IWF-Direktorin Christine Lagarde, "aber es wurde in dieser Hinsicht nicht genug getan."

US-Finanzminister Steven Mnuchin sagte, er stimme der Haltung des IWF zu Überschussländern wie Deutschland zu. Die USA fahren indessen ein großes Haushaltsdefizit.

Die Idee hinter dem kreditfinanzierten Stimulus ist, dass Regierungen in wirtschaftlich schwachen Zeiten den Mangel an privater Nachfrage durch Ausgaben oder Steuersenkungen ersetzen. In Zeiten intensiven Stresses, wie der globalen Finanzkrise vor einem Jahrzehnt, sind sich Ökonomen einig, dass die Regierungen alles tun sollten, um das Wachstum zu fördern.

Berlin sträubt sich gegen Stimulus

Aber die Nutzung groß angelegter fiskalischer Impulse zur Bewältigung einer Konjunkturschwäche stößt bei Ländern wie Deutschland auf Widerstand, die eine konservative Wirtschaftspolitik betreiben. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wandte sich gegen die Kritik und verwies auf höhere öffentliche Investitionen, Steuersenkungen und größere Hilfen für einkommensschwache Familien.

Deutschland habe schon längst "geliefert", sagte Scholz. Die stabilen Finanzen Deutschlands seien besser in der Lage, auf die nächste Rezession zu reagieren, und die aktuellen globalen Risiken seien nicht die Finanzen Deutschlands, sondern "künstliche", einschließlich Brexit und Handelsstreitigkeiten.

Südkorea weist ebenfalls einen jährlichen Haushaltsüberschuss auf, und es wird erwartet, dass Australien in den kommenden Jahren einen Überschuss erzielt. Im Gegensatz zu Europa scheinen diese Volkswirtschaften keine großen Impulse zu benötigen, und ihre Zentralbanken haben die Möglichkeit, die Zinsen bei Bedarf zu senken.

Deutschland und die Schweiz nutzen die Überschüsse, um die Schulden zu reduzieren und sich auf die zu erwartenden Belastungen durch zukünftige Pensionäre vorzubereiten. Die Position Deutschlands ist unter den Überschussländern am relevantesten, da es eine dominante Rolle für das europäische Wachstum und die europäische Politik spielt. Wenn Deutschland ein großes Konjunkturprogramm auf den Weg bringen würde, könnte es Defizitländer wie Frankreich und Italien ermutigen, Maßnahmen zur Senkung ihrer Defizite zu ergreifen.

Die exportabhängige deutsche Wirtschaft schrumpfte im dritten Quartal des vergangenen Jahres und stagnierte im vierten Quartal. Eine Reihe schwacher Produktionszahlen deutet darauf hin, dass sie in der ersten Jahreshälfte dieses Jahres wieder schrumpfen könnte. Diese Schwäche wird sich auf die 19 Mitglieder der Eurozone auswirken, unter denen Deutschland das größte Mitglied ist, und auf Nicht-Euro-Länder wie die Schweiz, die beim Export auf Europa angewiesen sind.

Staatsschulden sinken in Deutschland

Chinas Konjunkturabschwächung "hat die deutsche Wirtschaft hart getroffen, und es gibt gute Gründe, die Fiskalpolitik zu nutzen, um die Anpassung zu erleichtern", sagte Ken Rogoff, Professor an der Harvard University, und verwies auf den "großen Spielraum" Deutschlands aufgrund seiner niedrigen Staatsverschuldung, die weniger als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht und nach Schätzungen des IWF bis 2022 auf weniger als 50 Prozent schrumpfen könnte.

Deutschland verzeichnet seit 2014 jährliche Überschüsse und wird dies nach Einschätzung des IWF bis 2024 tun. Die Steuereinnahmen sind seit 2017 um 8 Prozent gestiegen, schneller als die Sozialausgaben, und berufstätige Deutsche zahlen nach Belgien die zweithöchste Einkommensteuer aller Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Die US-Politik steht im krassen Gegensatz zur deutschen, obwohl sie mit ähnlichen Problemen bei den Altersausgaben konfrontiert ist. Die Regierung von Präsident Donald Trump hat die US-Wirtschaft mit Steuersenkungen und höheren Staatsausgaben angeschoben, um jährliche BIP-Wachstumsraten von 3 Prozent zu erzielen. Das jährliche Defizit liegt bei über 4 Prozent des BIP.

Die Hoffnung ist, dass die USA mit einer wachsenden Wirtschaft in einer besseren Position sein werden, um ihre Schulden zu bedienen. Die üblichen Nebeneffekte des Stimulus - höhere Anleiherenditen und steigende Inflation - sind ausgeblieben, was das Argument des Stimuluslagers stärkt und die deutsche Ansicht schwächt, dass es am besten sei, das Pulver für die nächste Rezession trocken zu halten. Deutschland lerne derzeit "auf die harte Tour, dass es das einzige Land ist, das nach diesen Regeln spielt", sagte Carsten Brzeski, Ökonom bei der ING Bank.

DJG/DJN/apo

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