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Orban hat den Bogen überspannt

Erscheinungsdatum Website: 20.02.2019 14:10:04
Erscheinungsdatum Publikation: 21.02.2019

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BRÜSSEL (AFP)--Auf große Plakatwände will Ungarns rechtskonservativer Regierungschef Viktor Orban das Gesicht von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kleben. Nicht, um vor der EU-Wahl im Mai für Europa zu werben, sondern um dem Kommissionschef die Förderung illegaler Einwanderung vorzuwerfen. Formal sind Juncker und Orban über die Europäische Volkspartei (EVP) "Parteifreunde". Für den deutschen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber wird der Ungar damit mitten im Europawahlkampf zum Problem.

Von der EU-Kommission kamen klare Worte: Ein Sprecher Junckers nannte die ungarische Kampagne "Fake News" und "unfassbar". Später meldete sich der Kommissionspräsident selbst zu Wort: Orban vertrete "die christdemokratischen Werte in keinerlei Weise", sagte Juncker. Er sei der Meinung, "dass sein Platz nicht in der Europäischen Volkspartei ist."

Brüssel liegt schon lange mit Orban im Clinch. Seit seinem Amtsantritt 2010 eckte der Ungar immer wieder mit Verfassungs- und Gesetzesänderungen an, die dazu dienten, die Macht seiner rechtsnationalistischen Fidesz-Partei zu zementieren. Den jüdsichen US-Milliardär George Soros, der nun mit Juncker auf den Plakaten prangen soll, hat Orban zum "Staatsfeind" erklärt und sich damit auch Vorwürfe des Antisemitismus eingehandelt.

Junckers Kommission hat seit 2014 reihenweise Strafverfahren eröffnet: Weil Orban sich nicht an der EU-Flüchtlingsverteilung beteiligen wollte, weil er Asylbewerber in Containerdörfern an der Grenze einsperrte, weil er gegen aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen und die von Soros gegründete Central European University (CEU) vorging.

Die Fälle liegen jetzt beim Europäischen Gerichtshof. "Rote Linie" für die europäischen Christdemokraten sei Orbans Verhalten, wenn er letztinstanzlich verliere, sagt ein EVP-Vertreter. Der Regierungschef habe den EU-Partnerparteien zugesichert, dass er sich dann an die Rechtsprechung des obersten EU-Gerichts halten werde. Bis zu letztinstanzlichen Entscheidungen können aber noch Jahre vergehen.

Für einige in der EVP hat Orban den Bogen mit der Anti-Juncker-Kampagne nun überspannt. Der aus Frankreich stammende EVP-Präsident Jospeh Daul verurteilte Orbans Kampagne auf Twitter scharf und sprach von "Verleumdung". Doch auch Daul forderte nicht den Rauswurf der Fidesz aus der EVP.

Weber, der Juncker als Kommissionschef beerben will, begnügte sich damit, Daul kommentarlos zu retweeten. Seine Getreuen verweisen darauf, dass Weber - als einziger CSU-Abgeordneter - im September im Europaparlament für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Ungarn wegen Grundrechtsverletzungen gestimmt hat.

Die wohl gewichtigste Befürchtung zum Fall Orban lautet: "Wenn wir ihn rauswerfen, treiben wir ihn in die Arme von Salvini", wie ein CDU-Abgeordneter sagt. Der Chef der fremdenfeindlichen Lega in Italien hat bereits mit Orban und anderen Rechtspopulisten wie Marine Le Pen aus Frankreich Kontakt aufgenommen, um nach der Europawahl Allianzen zu schmieden.

Viele in der EVP sind zudem noch vom Brexit im Jahr 2009 traumatisiert und fürchten ein Déjà-vu. Damals verließen die britischen Tories die Fraktion, um unter Premier David Cameron auf Konfrontationskurs zu Europa zu gehen. "Das will ich nicht noch einmal erleben", sagt ein weiterer CDU-Mann.

Auf den ersten Blick scheint der Verlust der Fidesz für die EVP als stärkste Parlamentsfraktion verschmerzbar. Denn die Orban-Partei stellt nur zwölf von derzeit 217 EVP-Abgeordneten. Doch für die Wahl des Kommissionspräsidenten sind mehr als die Hälfte der Abgeordneten im EU-Parlament nötig. Weber wird damit wohl mindestens zwei weitere Fraktionen brauchen.

"Weber steckt in einem Dilemma, das seine Kandidatur für die Kommission gefährden könnte", sagt Eric Maurice von der Brüsseler Schuman-Stiftung. "Seine fehlende Reaktion macht ihn in den Augen von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen noch weniger legitim." Dies erhöhe "die Chancen für einen alternativen Kandidaten".

ost/21.2.2019

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