Märkte der Welt

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Spaltung und verhärtete Fronten in Europa

Erscheinungsdatum Website: 19.12.2018 02:07:45
Erscheinungsdatum Publikation: 20.12.2018

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Die EU-Staaten sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt

LONDON (Dow Jones)--Das Trauerspiel der britischen Regierung im Umgang mit dem Brexit ist Beispiel einer neuen Realität weit über das vereinigte Königreich hinaus. Spaltungsbewegungen und verhärtete Fronten machen das Regieren in fast allen westeuropäischen Ländern immer schwieriger. Politische Mehrheiten, die etwas bewegen könnten, sind kaum noch zu bilden.

Die britische Premierministerin Theresa May hat die Abstimmung über den Auflösungsvertrag mit der Europäischen Union vertagt und sich fürs Erste eine krachende Niederlage im Parlament erspart. Gleichzeitig hat sie damit die spannendsten Wochen für die Bürger ihres Landes seit dem Brexit-Referendum 2016 eingeläutet.

Auch in Ländern wie Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien brodelt es immer wieder. Nur die Themen und die Dramaturgie weichen voneinander ab. "Europäische Politik ist und bleibt zuallererst nationale Politik der Einzelstaaten", sagt Cas Mudde, Politikwissenschaftler an der Universität von Georgia.

Regierungen zerbrechen an kontroversen Themen oder können ihre Programme nicht durchbringen. Die teilweise gewaltsamen Massenproteste in Frankreich gegen Präsident Emmanuel Macron und seine wirtschaftsfreundliche Politik sind Zeichen einer Unzufriedenheit, die man auch hinter dem Brexit oder der Anti-Establishment-Bewegung in Italien vermuten darf.

Bürger sind enttäuscht

Zehn Jahre nach der Finanzkrise spüren viele Menschen immer noch die Folgen und fühlen sich sitzengelassen von der politischen und wirtschaftlichen Elite, deren Art sich auszudrücken und zu kleiden eher zur großen Bühne passt, als zu den Wählern in der Provinz.

An Plänen, wie der von Macron nun ausgesetzten Steuererhöhung auf Benzin und Diesel, entzündet sich der Zorn des überwiegend ländlich strukturierten Frankreich auf seine Führung. Macron, ein 40 Jahre junger, ehemaliger Investmentbanker, gilt in den Augen der meisten als arrogant und abgehoben. Umfragen stellen aber auch seinen Widersachern von der rechten und linken politischen Seite kein besseres Zeugnis aus.

Oberflächlich betrachtet scheint Großbritannien eine Ausnahme unter Europas zersplitterten Parteienlandschaften zu sein. Mays regierende konservative Partei und links davon die Labour Party dominieren die Politik. Sie profitieren von einem Wahlsystem, das andere Parteien klein hält. Der Streit um den Brexit zeigt, dass das System dadurch nicht unbedingt stabiler wird: Statt zwischen den Parteien wie andernorts, werden die großen Schlachten im britischen Parlament von Gruppierungen innerhalb der großen Parteien ausgefochten.

"Wir haben zwei große Parteien, aber sie sind in sich völlig zerstritten", sagt Anan Menon, Professor für europäische Politik am King's College in London. Das liege nicht allein an unterschiedlichen Vorstellungen quer durch die Parteien, sondern auch an der unterschiedlichen Kultur sozialliberaler und sozialkonservativer Strömungen und ebenso an dem tiefen Graben, der sich zwischen London und der britischen Provinz auftue.

In Italien sorgten die Parlamentswahlen Anfang des Jahres für politische Verwerfungen. Die europaskeptische und populistische Fünf-Sterne-Bewegung zermalmte die etablierten Parteien im Süden des Landes, während der fremdenfeindlichen Lega das Gleiche im Norden gelang. Die beiden rebellischen Bewegungen bilden zusammen eine der meist beachteten Regierungen in Europa. Viele italienische Beobachter sehen Parallelen zwischen ihren Anliegen und denen der protestierenden Gelbwesten in Frankreich.

In Italien zeigt sich, dass sich große Versprechungen nicht mit einer klammen Staatskasse vertragen. Anleger kehrten italienischen Anleihen und Banken scharenweise den Rücken und brachten die ohnehin lahme Wirtschaft an den Rand der Rezession.

Fünf-Sterne-Bewegung und Lega sollen nun ihre Ausgabenpläne den Haushaltsregeln der EU anpassen. Doch die Suche nach einem Kompromiss sorgt bereits für Spannungen zwischen den Parteien und erzeugt Spekulationen, wie lange die Regierung noch durchhalten kann.

Deutschland hingegen scheint momentan politisch stabiler als noch vor ein paar Wochen. Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer steht für Kontinuität. In jüngsten Umfragen legten die Christdemokraten zu. Ob dieser Aufschwung lange anhalten wird, bleibt fraglich. Die CDU wird an ihren Rändern von den immer stärker werdenden Grünen und der AfD bedrängt.

Rechtsruck auch in Spanien?

In Spanien zog im Dezember mit Vox erstmals seit Ende der Franco-Diktatur wieder eine ultrarechte Partei in ein Regionalparlament ein. Die ohnehin zersplitterte Parteienlandschaft wird dadurch nicht übersichtlicher. Immer wahrscheinlicher wird jedoch, dass die sozialistische Regierung, die ohne eigene parlamentarische Mehrheit regiert, Anfang 2019 stürzen wird.

Politik in Spanien und anderen EU-Staaten wie Belgien, Schweden und den Niederlanden bedeutet momentan vor allem Streit um die Bildung und das Überleben von Regierungen. Die schwindende Autorität von Macron, May und Merkel belegt, dass Europas mächtigste Nationen überwiegend mit sich selbst beschäftigt sind, während die USA, China und andere Länder bei der Bildung einer neuen internationalen Ordnung das Heft des Handelns übernehmen und die Rollen unter sich ausmachen, angefangen beim Handel bis hin zur Sicherheitspolitik.

Mujtaba Rahman, der sich als Management-Direktor des Beratungsunternehmens Eurasia Group vor allem mit politischen Risiken befasst, sieht die anhaltenden Streitigkeiten innerhalb der führenden EU-Länder mit Sorge: "Die Konsequenz ist, dass es überall, wo die politischen Herausforderungen für Europa liegen, kaum Bewegung gibt. Das fängt an beim Handel, reicht über die Migration und zieht sich hin bis zur Reform der Eurozone."

Marcus Walker

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