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Scholz: Taktik der verbrannten Erde wird Russland nicht helfen

Erscheinungsdatum Website: 21.10.2022 19:25:02
Erscheinungsdatum Publikation: 24.10.2022

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BERLIN (Dow Jones)--Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Russland Kriegsverbrechen vorgeworfen und der Ukraine eine anhaltende Unterstützung der Weltgemeinschaft zugesagt. "Bewusste Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen", sagte Scholz bei einer Regierungserklärung im Bundestag zum am Donnerstag und Freitag geplanten EU-Gipfel. Die jüngsten Eskalationen Moskaus lasse man nicht unbeantwortet. "Auch eine solche Taktik der verbrannten Erde wird Russland nicht helfen, den Krieg zu gewinnen", hob der Kanzler hervor.

Die Ukraine werde sich erfolgreich verteidigen. "Und wir werden sie unterstützen - so lange, wie das erforderlich ist", sagte Scholz. "Putin wird seine Kriegsziele nicht erreichen." Bei dem Sanktionskurs der EU bleibe es, solange Russland den Krieg fortsetze. Mit Blick auf die Beratungen beim EU-Gipfel betonte Scholz, dass der Finanzbedarf Kiews bis Jahresende "praktisch gedeckt" sei. "Doch der Krieg und seine Folgen werden uns noch auf viele Jahre hinaus beschäftigen." Auch Energie setze der russische Präsident Wladimir Putin als Waffe ein.

Lange vor der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee habe Russland bereits seine Lieferungen durch Nord Stream 1 eingestellt - ohne nachvollziehbaren Grund. "Dieses Russland unter Putin ist kein zuverlässiger Handelspartner mehr", betonte Scholz. Mit den Maßnahmen der vergangenen Wochen und Monate habe Deutschland aber sichergestellt, "dass wir voll Zuversicht sagen können: Gemeinsam kommen wir wohl durch diesen Winter". Die ersten Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel gingen zum Jahreswechsel ans Netz. Auch erste Lieferungen über Lubmin könnten dann möglicherweise erfolgen. Weitere Terminals würden im Lauf des kommenden Jahres hinzukommen.

Scholz bekräftigte, die Regierung sorge dafür, "dass wir alle drei noch laufenden Atomkraftwerke den gesamten Winter lang nutzen können". So habe es das Kabinett gestern auf den Weg gebracht. Deutschland sei zwar bislang ganz besonders von russischem Gas abhängig gewesen. "Wir haben uns aus dieser Abhängigkeit befreit und gehen zugleich gut vorbereitet in den kommenden Winter", hob Scholz aber hervor. Zudem kündigte er noch für dieses Jahr Eckpunkte für ein Dachgesetz zum besseren Schutz kritischer Infrastrukturen an. Absolute Sicherheit könne es aber "angesichts der Größe und Komplexität kritischer Infrastrukturen nicht geben".

Energiepreise sollen sinken

Mit Blick auf die Beratungen in Brüssel nannte Scholz die viel zu hohen Energiepreise "eine andere große Bewährungsprobe für unser Land und für Europa". Die Preise für Strom und Wärme, für Gas, Öl und Kohle müssten sinken. An der Umsetzung einer Strompreisbremse arbeite die Regierung aktuell mit Hochdruck. "Ziel ist, Bürgerinnen und Bürger so rasch wie möglich für ein Grundkontingent von Strom zu entlasten." Bei den Preisen für Gas und Wärme sei "das Ganze komplizierter". Beim Gipfel werde man darüber sprechen, die Nachfrage zu bündeln. Scholz lobte die EU-Kommission für ihre Vorschläge, Einkaufsgemeinschaften europäischer Unternehmen zu bilden. Richtig sei auch, einen Teil der Kapazität der europäischen Gasspeicher im nächsten Jahr gemeinsam zu befüllen. Auch über die Entwicklung eines ergänzenden Gaspreis-Indexes werde man sich Gedanken machen. Für einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien wolle er sich in Brüssel zudem für einfachere Planungsverfahren auch für die großen Übertragungsnetze einsetzen.

Kritisch zeigte sich der Kanzler zum Brüsseler Vorschlag eines EU-Gaspreisdeckels. "Natürlich werden wir auch darüber sprechen, wie wir mit Preisspitzen umgehen", betonte er. Die Vorschläge der Kommission dazu schauen wir uns sehr genau an. Ein politisch gesetzter Preisdeckel birgt aber immer das Risiko, dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen - und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger." Deshalb müsse sich die EU mit anderen Gaskonsumenten wie Japan und Korea eng abstimmen, und zugleich spreche man auch mit den Produzenten über einen angemessenen Preis. Länder wie die USA, Kanada oder Norwegen hätten "ein Interesse daran, dass Energie in Europa nicht unbezahlbar wird".

Der deutsche Abwehrschirm sei bewusst auf zweieinhalb Jahre angelegt, um auch für den nächsten Winter gewappnet zu sein. Auf den Zeitraum gerechnet entsprächen die 200 Milliarden Euro um die 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. "Das liegt in den Größenordnungen der Pakete, die in diesem Jahr auch anderswo in Europa geschnürt wurden und werden, in Frankreich, in Italien oder in Spanien zum Beispiel", meinte Scholz. Die EU verfüge über genug finanzielle Durchschlagskraft, um sich der Krise entgegenzustellen. Aus der Aufbau- und Resilienz-Fazilität aus der Corona-Krise sei erst ein Fünftel ausgezahlt. "Hier stehen also noch über 600 Milliarden Euro zur Verfügung, die unsere Volkswirtschaften stärken und für den Ausbau erneuerbarer Energien genutzt werden können."

Ein dreistelliger Milliardenbetrag aus Mitteln des Instruments "Next Generation EU" werde genutzt und aufgestockt, um Europa unabhängig zu machen von fossiler Energie. "Ich bin bereit zu schauen, wie wir diese und andere vorhandene Mittel in der aktuellen Krise noch effizienter einsetzen können." Der schnelle Ausbau Erneuerbarer dürfe nicht aus den Augen verloren werden. Noch im Herbst werde ein weiteres Paket zur Planungsbeschleunigung beschlossen. Beim EU-Gipfel werde man zudem klare Angebote machen, damit auch Entwicklungs- und Schwellenländer den Weg in Richtung eines klimaneutralen Energiesektors entschlossen gingen. "Die russische Aggression und ihre Folgen dürfen nicht zu einer weltweiten Renaissance der Kohle führen", hob Scholz hervor.

DJG/ank/cbr/24.10.2022

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