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Zinssatz auf Steuernachforderungen ist verfassungswidrig

Erscheinungsdatum Website: 19.08.2021 22:50:02
Erscheinungsdatum Publikation: 23.08.2021

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KARLSRUHE (Dow Jones)--Der Bund will schnell an die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes gehen, welches die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 Prozent ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt hat. "Das Bundesfinanzministerium wird zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder zügig die Vorbereitungen treffen, um die Entscheidung des Verfassungsgerichts umzusetzen", kündigte Finanz-Staatssekretär Rolf Bösinger an.

Das bisherige Recht ist laut dem Urteil für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiter anwendbar. Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume seien die Vorschriften dagegen unanwendbar. "Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen", erklärte das Gericht.

"Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner heutigen Entscheidung Rechtsklarheit geschaffen", betonte Bösinger. "Es hat dem Gesetzgeber einen belastbaren Handlungs- und Gestaltungsspielraum aufgezeigt." Der Gesetzgeber habe bis zum 31. Juli 2022 Zeit, eine verfassungsgemäße Neuregelung der Vollverzinsung zu treffen, betroffen seien Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019.

Die Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten stelle eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt werde, gegenüber Steuerschuldnern sar, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt werde, urteilten die Karlsruher Richter.

Auch Erstattungszinsen sind betroffen

Diese Ungleichbehandlung erweise sich gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch als verfassungsgemäß, für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume dagegen als verfassungsidrig. Ein geringere Ungleichheit bewirkendes und mindestens gleich geeignetes Mittel zur Förderung des Gesetzeszwecks bestünde insoweit in einer Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung mit dem Grundgesetz umfasst nach den Angaben auch die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen.

Die FDP forderte vom Bundesfinanzministerium, unbürokratische Wege für die schnelle Rückerstattung zu viel gezahlter Zinsen an die Steuerzahler einzuschlagen. "Dort, wo zu viel kassiert wurde, müssen unbürokratische Wege für eine schnelle Rückerstattung der zu hohen Steuerforderungen gefunden werden", sagte der FDP-Finanzpolitiker Markus Herbrand der Rheinischen Post. Fraktionsvize Christian Dürr sah in der Karlsruher Entscheidung "eine gute Nachricht für die Steuerzahler und gleichzeitig eine Ohrfeige für die Bundesregierung". Die FDP-Fraktion fordere, dass der Zinssatz dynamisch ausgestaltet und an den Basiszinssatz gekoppelt wird.

Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus, nannte das Urteil "nicht überraschend", denn der Bundesfinanzhof habe bereits 2018 erste Zweifel angemeldet. "Die Bundesregierung und allen voran Olaf Scholz haben es verschlafen, hier frühzeitig aktiv zu werden", kritisierte sie. "Das wird ein riesiger Aufwand für die Finanzämter werden." Es sei auch ein Signal, "dass die Niedrigzinsen in den letzten Jahren nicht nur vorübergehend, sondern vermutlich strukturell sein werden".

BDI: Zinssatz absenken und dauerhaft verfassungsfest regeln

Die Wirtschaft verlangte eine dauerhafte verfassungsfeste Regelung des Bundes. "Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung zur Verzinsung von Steuernachzahlungen und -erstattungen gibt Unternehmen endlich mehr Planungssicherheit", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. "Der Gesetzgeber muss jetzt den steuerlichen Zinssatz absenken und dauerhaft verfassungsfest regeln." Sinnvoll sei eine Regelung, die auf Änderungen des Zinsniveaus reagiere.

In der Praxis führe der überhöhte Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr zu erheblichen Belastungen, wenn etwa Steuernachzahlungen nach Betriebsprüfungen fällig sind. "Oftmals bestraft bisher eine Zinsbelastung, die höher als die nachzuzahlende Steuer ist, die Unternehmen", beklagte Lang. Bedauerlich sei, dass der Gesetzgeber nicht selbst rechtzeitig tätig geworden sei. "In dieser Legislaturperiode gab es genügend Gelegenheiten, den steuerlichen Zinssatz neu zu regeln."

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft verlangte eine Rückzahlung zu viel gezahlter Zinsen auch für frühere Jahre. "Jetzt müssen zu viel gezahlte Zinsen schnellstens erstattet und der Zinssatz von 6 Prozent für Steuernachzahlungen und Steuererstattungen dem deutlich niedrigeren Marktzins angepasst werden", sagte Chefvolkswirt Hans-Jürgen Völz. Dass Erstattungen nur rückwirkend bis 2019 gelten sollten, sei aber nicht nachvollziehbar. "Die Niedrigzinsphase setzte bereits mit dem Beginn der weltweiten Finanzkrise 2007/2008 ein. Erstattungen sollten daher konsequenterweise schon für frühere Jahre vorgenommen werden, mindestens aber seit 2014", so Völz.

DJG/ank/apo/23.08.2021

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