Ostwirtschaftsreport

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Arktis-Schmelze lässt Russland träumen

Erscheinungsdatum Website: 12.07.2021 15:40:02
Erscheinungsdatum Publikation: 20.07.2021

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MURMANSK (Dow Jones)--Das schmelzende Eis im Arktischen Ozean öffnet die Nordost-Passage, die Russland die Kontrolle über eine globale Handelsroute verschaffen könnte. Diese Pläne bringen Moskau aber in Konflikt mit den USA und sorgen für Reibungen mit China, zwei Ländern, die ebenfalls Pläne für die Arktis haben. Das treibt Moskau dazu, die Infrastruktur entlang der Route zu bauen, die die Entfernung zwischen Europa und Asien um ein Drittel verkürzen kann. Im Vergleich dazu muss derzeit eine Schifffahrt durch das politisch angespannte Südchinesische Meer oder die verstopfte Straße von Malakka in Kauf genommen werden.

Die diesjährige Saison auf der Nordostpassage begannbereits im Februar, als der Flüssiggastanker Christophe de Margerie von China zur nördlichen Yamal-Halbinsel schipperte. Die Reise folgte auf eine beispiellose, fast achtmonatige Schifffahrtssaison im vergangenen Jahr und gab Russland einen Vorgeschmack darauf, was die Zukunft für die Nördliche Seeroute bereithalten könnte, wenn der Verkehr weiterwächst.

Es gibt noch eine Reihe von Problemen, etwa die Tarife für die Eisbrecherbegleitung, die Transitkosten und die Unvorhersehbarkeit der Navigation am Polarkreis. Aber eine Öffnung der Passage würde Russland in den Mittelpunkt einer neuen globalen Schifffahrtsroute für Energielieferungen und Fracht stellen. Moskau betont, dass es das Recht hat, die Durchfahrt zu beschränken und die Preise für den Transit festzulegen. Und die Route würde ihm auch ein wichtiges Druckmittel in seinen Beziehungen zu China geben - einem der größten Nutznießer der rund 5.000 km langen Passage.

"Wir müssen abwarten, was die Zukunft bringt, aber es könnte sehr gut aussehen", freut sich Alexander Aljoschkin, Leiter der Schifffahrtsabteilung von SUEK, Russlands größtem Kohleunternehmen. Aljoschkin berichtet, dass das Unternehmen im vergangenen Jahr eine Testverschiffung nach China über die Route von seinem Hafen in Murmansk aus geplant hatte, aber diese Zahl auf sechs erhöhte. "Im Juni, als wir über Satelliten sahen, dass es praktisch kein Eis auf der nördlichen Seeroute gibt, begannen wir mit der Planung für ein paar weitere Fahrten, dann ein paar mehr. Dieses Jahr werden wir mehr machen, so viele wie möglich", jubelt er.

Die USA sagen, dass Russland nicht das Recht hat, den Verkehr durch die Gewässer zu regulieren, und Umweltschützer klagen, dass die schwere Schifffahrt auf den Gewässern dem empfindlichen Ökosystem des hohen Nordens unermesslichen Schaden zufügen könnte. Da aber auch andere Verlader, darunter die Chinesen, an der Erkundung der Route interessiert sind, hat Russland seine Pläne vorangetrieben.

Bislang ist der von der russischen Regierung regulierte Verkehr in diesem Jahr um 11% gegenüber dem Rekordwert von 1.014 Fahrten im vergangenen Jahr geklettert. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein für die globale Schifffahrt, die jedes Jahr etwa 60.000 Schiffe ausmacht. Im vergangenen Jahr stieg der Verkehr um mehr als 25% gegenüber 2019 mit 33 Mio t Fracht, Öl und verflüssigtem Erdgas, und Moskau erwartet, dass diese Zahl noch zulegt. Der russische Präsident Wladimir Putin hat gesagt, dass er die Fracht bis 2024 auf 80 Mio t verdoppeln will.

Der Umfang des Projekts, das rund 11,5 Mrd US-Dollar kosten soll, unterstreicht Moskaus große Ambitionen in der Arktis. Das staatliche Atomenergieunternehmen (Rosatom), das eine Flotte nuklearer Eisbrecher verwaltet, die bis zu rund 3m dickes Eis durchschneiden können, arbeitet an Plänen zur Stationierung von Personal entlang der Route. Allerdings ist 2018 bei Murmansk das einzige Trockendock gesunken, in dem die neuen Schiffe gewartet werden können. Der Ersatz durch eine türkische Werft steht fühestens 2023 zur Verfügung.

"Die arktische Region ist ziemlich einzigartig, daher müssen wir über die Infrastruktur auf eine komplexe Weise nachdenken", erläutert Polina Lion, Nachhaltigkeits-Chefin von Rosatom. Russland hat aber noch einen weiten Weg vor sich, wenn es darum geht, sein Netzwerk von baufälligen Häfen aus der Sowjet-Ära entlang der Route aufzurüsten, um das Beladen und Auftanken zu ermöglichen. Ein britisches Bergbauunternehmen, Kaz Minerals, hat zugestimmt, einen Hafen an der Ostspitze der Route zu bauen, um Gold und Kupfer von einem neu erworbenen Grundstück zu exportieren, so Alexey Tschekunkow, Entwicklungsminister für die Arktis und den Fernen Osten. Der Hafen wird für andere Schiffe offen sein, die die Route passieren, verspricht er.

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