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USA: Hoffnung ist keine Strategie

Erscheinungsdatum Website: 27.03.2020 14:45:04
Erscheinungsdatum Publikation: 30.03.2020

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Je aktueller die Prognose, desto massiver auch das Minus / Von J. Lahart

NEW YORK (Dow Jones)--Die Volkswirte der großen US-Banken glauben, dass die amerikanische Wirtschaft derzeit den heftigsten Abschwung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt. Eine ziemliche Kehrtwende. Gleichwohl könnten sie unterschätzen, wie lange die Krise sich nun hinziehen wird.

Innerhalb weniger Wochen haben die Ökonomen ihre Einschätzung, die USA würden eine Rezession umschiffen, dahingehend gedreht, dass sie jetzt die stärkste wirtschaftliche Kontraktion seit Menschengedenken für die größte Volkswirtschaft der Welt prognostizieren. Bei BofA Global Research heißt es, das Bruttoinlandsprodukt werde im zweiten Quartal auf annualisierter Basis um 12% zurückgehen. Um keinen falschen Eindruck zu erzeugen: Annualisierte Zahlen zeigen, wie stark die Wirtschaft schrumpfen würde, wenn das Tempo des zweiten Quartals tatsächlich ein ganzes Jahr lang anhalten würde - im direkten Quartsvergleich entspricht die von der BofA genannte Zahl einem Rückgang von 3,1%. Goldman Sachs erwartet einen Rückgang von 24%. JPMorgan Chase sagt minus 25%, Morgan Stanley sieht 30,1%.

In diesen Schätzungen steckt sehr viel Rätselraten. Denn noch gibt es keine umfassenden Wirtschaftsdaten zu den jüngeren Ereignissen, geschweige denn zu dem, was noch kommen wird. Aber massiv steigende Arbeitslosenmeldungen, sinkende Geschäftstransaktionen bei Kleinunternehmen oder kollabierende Hotelbelegungsraten - ganz zu schweigen von dem, was ein Spaziergang auf einer Haupteinkaufsstraße verrät - all dies offenbart einen Einbruch der Geschäftsaktivitäten, der in seinem Ausmaß einzigartig ist. Überdies gilt für die Prognosen: Je aktueller sie ist, desto massiver auch das Minus.

Die meisten Bankenvolkswirte glauben jedoch auch, dass die US-Wirtschaft im dritten Quartal wieder deutlich anziehen wird. Es wird zwar nicht reichen, um sie aus dem Loch zu holen, in das sie im zweiten Quartal gefallen ist, aber für eine Rückkehr auf den Pfad der Erholung schon. Goldmans Sachs prognostiziert beispielsweise für das dritte Quartal ein Wachstum von 12%, Morgan Stanley sogar ein Plus von 29%.

Derartige Prognosen basieren auf der Erwartung, dass die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus bis zum dritten Quartal eingedämmt sein wird, dass die dafür ergriffenen Maßnahmen wesentlich gelockert werden und dass die Konsumenten wesentlich entspannter sein werden, so dass sie wieder in Restaurants gehen, Sportveranstaltungen besuchen und Flüge buchen. Das ist keineswegs eine sichere Sache.

Zunächst einmal könnte es länger dauern, bis das Virus seinen Höhepunkt erreicht hat, als es die Ökonomen in ihren Schätzungen unterstellt haben. Einige scheinen sich an offiziellen Daten aus China orientiert zu haben, wonach sich die Zahl der Neuinfektionen dort deutlich verlangsamt hat. Aber die Schritte, die die USA unternommen haben, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, sehen im Vergleich dazu äußerst blass aus.

China hat einen großen Teil des Landes abgeriegelt, Menschen aufgespürt, die durch die Sperren gerutscht sind, und Freiwillige gefunden, die von Tür zu Tür gehen, um Körpertemperaturen aufzuzeichnen. In den USA leben gerade einmal ein Viertel so viele Menschen wie im Reich der Mitte, aber es gibt jetzt schon mehr bestätigte Covid-19-Fälle als in China, so die Johns Hopkins Universität.

Sobald die Zahl der Fälle in den Bundestaaten oder Kommunen ihren Höhepunkt erreicht hat, könnten die jeweils zuständigen Behörden damit beginnen, die Beschränkungen für nicht systemrelevante Firmen zu lockern. Aus Angst vor einem erneuten Ausbruch werden sie das aber wahrscheinlich nur schrittweise tun. Ohne einen Impfstoff, der bestenfalls im nächsten Jahr verfügbar ist, werden sie breit angelegte Tests verlangen, damit jede neue Glut schnell wieder gelöscht werden kann.

Und dann ist da noch die Frage, wie die Menschen reagieren werden. Einige werden sicher bereitwillig wieder Bars und ähnliche Etablissements bevölkern, viele andere dürften zunächst vorsichtig sein. China, wo die Beschränkungen inzwischen erheblich gelockert wurden, könnte da aufschlussreich sein: In einer Umfrage unter chinesischen Verbrauchern, die Morgan Stanley kürzlich durchführte, gaben nur 13% der Befragten an, dass sie in der folgenden Woche zum Einkaufen und zum geselligen Beisammensein ausgehen wollen.

Es ist durchaus möglich, dass die Ökonomen an der Wall Street Recht behalten und dass die US-Konjunktur im dritten Quartal einen großen Aufschwung erleben wird. Aber das Risiko besteht, dass der große Sprung ausbleibt und der wirtschaftliche Schaden, den die Coronavirus-Krise anrichtet, noch größer ausfällt als gedacht.

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