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Koalitionsparteien stellen sich hinter Grundrenten-Kompromiss

Erscheinungsdatum Website: 11.11.2019 16:35:03
Erscheinungsdatum Publikation: 12.11.2019

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BERLIN (Dow Jones)--Die Parteigremien von Union und SPD haben sich klar hinter den Kompromiss zur Einführung einer Grundrente gestellt. Spitzenvertreter werteten ihn auch als Beleg für das Funktionieren der großen Koalition. Allerdings wurde auch Kritik laut. So gab es nach Einstimmigkeit im CDU-Präsidium bei der Abstimmung im größeren CDU-Vorstand drei Gegenstimmen. Zuvor hatte sich bereits die CSU hinter die Vereinbarung gestellt. Das SPD-Präsidium unterstützte diese "einmütig".

Die Spitzen von Union und SPD hatten sich am Sonntag nach monatelangem Streit geeinigt, dass rund 1,5 Millionen Menschen ab dem 1. Januar 2021 von der Grundrente profitieren sollen. Rentner, die 35 Jahre Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, sollen eine Rente über Grundsicherungsniveau empfangen. Die Einkommensgrenze soll für Alleinstehende bei 1.250 Euro liegen, für Paare soll sie 1.950 Euro betragen. Teil der Einigung ist auch, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung befristet bis Ende 2022 auf 2,4 Prozent von 2,6 Prozent gesenkt werden.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nannte den Kompromiss eine "sehr tragfähige Lösung" und betonte, dass man mit der vereinbarten Einkommensprüfung bei den Beziehern der Grundrente eine "Gerechtigkeitsprüfung" bekommen habe. Mit der Vereinbarung sei dem Unions-Anliegen, "dass diese Leistung nicht mit der Gießkanne verteilt wird", ein gutes Stück Rechnung getragen. Die Vereinbarung sei ein guter Befund für die Koalition. Allerdings müsse man in der zweiten Halbzeit der großen Koalition darauf achten, dass Vereinbarungen weniger kontrovers geführt würden.

Junge Union gegen Grundrenten-Kompromiss

Deutlich kritischer als Kramp-Karrenbauer sah die Vereinbarung der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban. Im Vorstand der CDU stimmte er gegen den Kompromiss. "Das ist so nicht finanzierbar. Es ist eine zusätzliche Rentenleistung, die zulasten der jungen Generation geht", sagte Kuban dem Fernsehsender Welt. Es fehle die wirkliche Bedarfsprüfung, die die Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, meinte Kuban.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus betonte hingegen bereits am Morgen, beide Seiten hätten sich bewegt, und die Union habe in den vergangenen Tagen noch einige Punkte durchsetzen können. "Wir haben gegenüber dem Verhandlungsstand letzte Woche noch was erreicht. Da war eine Einkommensüberprüfung vorgesehen, der Zwischenstand, aber da war zum Beispiel das Kapitalvermögen nicht dabei", sagte er im ARD-Morgenmagazin.

SPD-Präsidium einmütig für Kompromiss

Das SPD-Präsidium unterstützte die Vereinbarung zur Grundrente ebenfalls klar. "Auch unser Präsidium hat sich heute einmütig hinter den Kompromiss gestellt zum Thema Grundrente", sagte die kommissarische Parteivorsitzende Malu Dreyer. Es handele sich um einen "sozialpolitischen Meilenstein". Dreyer erwartete eine positive Auswirkung auf die anstehende Bewertung der Halbzeitbilanz der großen Koalition.

Die SPD-Chefin betonte, "dass natürlich die vorgelegte Bilanz ... richtig gut abgerundet worden ist jetzt mit der Grundrente". Über drei Legislaturperioden hätten sich verschiedene Minister mit dieser "Gerechtigkeitslücke" befasst. "Natürlich wird das von unseren Mitgliedern auch gesehen und auch anerkannt", zeigte sich Dreyer deshalb überzeugt. Sie sah nur "wenige Einzelmeinungen innerhalb der SPD", die sich kritisch mit dem Kompromiss auseinandergesetzt hätten.

Heil plädiert für Verbleib in Koalition

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plädierte für einen Verbleib in der großen Koalition und erinnerte an jüngste Erfolge seiner Partei bei sozial- und arbeitsmarktpolitischen Projekten. In der vergangen Woche habe man über den Strukturwandel und nötige Qualifizierungsmaßnahmen geredet. Auch habe man den Schutz von Paketboten und die Entschädigung für Gewaltopfer erhöht. Zudem sollen Angehörige bei der Pflege finanziell entlastet werden. Dazu käme noch die Einigung der großen Koalition bei der Grundrente. "Lohnt sich der Einsatz in Regierungsverantwortung oder nicht? Mit Blick auf die letzte Woche würde ich sagen: besser gut regieren als nicht regieren", meinte Heil.

SPD-Linke kritisiert Grundrenten-Kompromiss

Aus den Reihen der SPD-Linken kam hingegen Kritik an dem Kompromiss zur Grundrente. "Die Einkommensprüfung ist ein Kompromiss, der weit von dem SPD-Anspruch einer Grundrente ohne Bedarfsprüfung entfernt ist", kritisierte die SPD-Linke Hilde Mattheis in der Tageszeitung Die Welt. "Viele Fragen bleiben zudem offen, etwa ob die Einkommensprüfung individuell ist oder wie bei Hartz IV das Einkommen von Ehepaaren betrachtet wird." Karl Lauterbach (SPD) nannte die Einigung in der Welt eine "Minimallösung".

Auch die Opposition kritisierte den Kompromiss der Koalition. "Der Grundrenten-Kompromiss ist kein sozialpolitischer Meilenstein, sondern der Rettungsring für den Fortbestand der Bundesregierung", erklärte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Wenn Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Februar drei bis vier Millionen Rentner besser stellen wollte und jetzt gerade einmal 1,2 bis 1,5 Millionen einen Zuschlag erhielten, dann sei das kein sozialpolitischer Erfolg. "Wieder einmal hat die SPD nicht einmal 50 Prozent dessen erreicht, was ursprünglich gewollt war", kritisierte er. Grund sei die viel zu harte Einkommensprüfung, die Millionen ausschließe. Nötig sei eine große Rentenreform.

Paritätischer Wohlfahrtsverband begrüßt Einigung

Als einen intelligenten Kompromiss begrüßte hingegen der Paritätische Wohlfahrtsverband die Einigung. Er mahnte an, die Lösung nun zügig umzusetzen, forderte aber auch Verbesserungen. "Bei aller Kritik, die man im Detail haben kann und muss: Der Kompromiss zur Grundrente ist besser, als man hätte erwarten dürfen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider. "Es ist kein fauler, sondern ein intelligenter Kompromiss."

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, sagte aber nach dem Beschluss zur Beitragssenkung der Arbeitslosenversicherung im Zuge der Grundrenten-Einigung Mindereinnahmen in Milliardenhöhe vorher. Er wisse noch nicht, ob der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bereits ab 2020 um 0,1 Prozentpunkte gesenkt wird. "Wenn es so käme, hätten wir, anders als in unserem bisher beschlossenen Haushalt, nach jetzigem Stand nächstes Jahr Mindereinnahmen von 1,2 Milliarden Euro und würden mit einem Defizit abschließen", sagte Scheele der Rheinischen Post.

Wirtschaft reagiert unzufrieden

Der Wirtschaftsrat der CDU übte scharfe Kritik. "Die Konstruktionsfehler sind fundamental", erklärte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Ansonsten beharre die SPD immer auf der Umsetzung des Koalitionsvertrages. "An dieser Stelle hätte auch einmal die Union klare Kante zeigen können", forderte er. Mit dem jetzigen Kompromiss würden auch Vermögende die gesetzliche Grundrente erhalten. Die Union habe in der Verhandlungsführung erneut einen strategischen Fehler begangen und "für ihr Entgegenkommen nichts Gleichwertiges heraus verhandelt".

Die Arbeitgeber warfen Union und SPD vor, das Wohl der großen Koalition über das der nachfolgenden Generationen zu stellen. Die Vereinbarung lasse "leider viele Fragen offen", erklärte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer. "Die vorliegenden Regelungen sind kompliziert, bürokratisch und tragen nicht zu einem gerechten und nachhaltigen sozialen Sicherungssystem bei." Man verliere mit dem Kompromiss die immer kleiner werdende Enkelgeneration aus den Augen und stelle "Koalitionstaktik in den Vordergrund".

Ifo Dresden: Grundrente belastet jüngere Generation

Die ostdeutsche Niederlassung des Ifo-Instituts in Dresden kritisierte den Kompromiss ebenfalls. "Die Organisation der Alterssicherung in Deutschland entfernt sich damit immer mehr von dem Grundgedanken einer Versicherung, sondern wird mehr und mehr zu einem Instrument der Sozialpolitik umgebaut", erklärte der stellvertretende Niederlassungsleiter Joachim Ragnitz. Der Ökonom sprach von einer "Politik zu Lasten der jüngeren Generation". Dies werde langfristig zu Problemen führen, "weil die Zahl der anspruchsberechtigten Rentner künftig enorm steigen wird".

DJG/ank/sha

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