Finanz- und Wirtschaftsspiegel

Der Newsletter "Finanz- und Wirtschaftsspiegel" informiert täglich über die Aktivitäten der internationalen Zentralbanken mit Schwerpunkt auf die Europäische Zentralbank, die Federal Reserve und die Bank of Japan.

Die EZB senkt ihren Einlagensatz

Erscheinungsdatum Website: 06.09.2019 16:00:02
Erscheinungsdatum Publikation: 09.09.2019

zurück zur Übersicht

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte am Donnerstag eine weitere Lockerung der Geldpolitik beschließen. Analysten erwarten, dass der Rat den gegenwärtig bei minus 0,40 Prozent liegenden Einlagenzins um wenigsten 10 Basispunkte senken und zugleich einen Teil der Überschusseinlagen der Banken bei der EZB von diesem Zins freistellen wird. Ein beträchtlicher Teil der professionellen EZB-Beobachter erwartet zudem, dass die Zentralbank eine Wiederaufnahme der Nettoanleihekäufe beschließen wird.

Auch prognostizieren sie in Abhängigkeit von ihrer Erwartung für Nettoanleihekäufe eine entsprechende Anpassung der Zins-Guidance. Die EZB wird die geldpolitische Beschlussfassung am Donnerstag um 13.45 Uhr veröffentlichen. Gegen 14.30 Uhr beginnt die Pressekonferenz mit EZB-Präsident Mario Draghi.

Außerdem kommen in der Woche deutsche Außenhandelszahlen für Juli sowie US-Inflations- und Einzelhandelsdaten.

Die kommende EZB-Ratssitzung - die vorletzte unter einem Präsidenten Draghi - ist von einiger Unsicherheit umgeben. Wie viele Beobachter es haben kommen sehen, musste die EZB die "Normalisierung" ihrer Geldpolitik abbrechen. Draghi signalisierte im Juni in Sintra, dass eine neuerliche Lockerung eine echte Option sei.

Die Ratssitzung im Juli konnte die daraus resultierenden Erwartungen aber nicht ganz erfüllen. Es wurden nur die berühmten Arbeitsgruppen des Eurosystems beauftragt, mögliche Maßnahmen auszuarbeiten. Draghi räumte zudem ein, dass es im Rat zu einzelnen Punkten eines möglichen Maßnahmenpakets unterschiedliche Meinungen gegeben habe.

In der Ökonomen-Community hat sich gleichwohl die Überzeugung festgesetzt, dass Draghi ein "Paket" von Lockerungsmaßnahmen auf den Weg bringen wird, auch wenn diese Erwartung von dem inzwischen veröffentlichten Sitzungsprotokoll nicht gedeckt wird. Offenbar vertrauen die meisten Analysten darauf, dass Draghi wie bisher immer das in Aussicht gestellte auch liefern wird.

Einen mindestens so großen Vertrauensvorschuss erhält Draghi an den Finanzmärkten. Zins-Futures preisen bis Jahresende einen weiteren Zinsschritt nach unten ein und für das kommende Jahr zwei weitere. Gedämpft wurden solche Erwartungen zuletzt von zwei Ereignissen. Das französische Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau sagte, dass die EZB von ihren zweifellos vorhandenen Werkzeugen nicht alle gleichzeitig einsetzen müsse. Und EZB-Vizepräsident Luis de Guindos wies darauf hin, dass die EZB bei ihren geldpolitischen Entscheidungen nicht alleine auf Marktsignale achte, sondern auch auf Konjunkturdaten.

Die sind bis zuletzt allerdings unerfreulich genug gewesen - abgesehen vom unerwarteten Anstieg der Wirtschaftsstimmung im August. Eine entscheidende Rolle bei der Kalibrierung der Maßnahmen dürften die makroökonomischen Projektionen des volkswirtschaftlichen Stabs spielen, die freilich erst nach Bekanntgabe der geldpolitischen Entscheidungen veröffentlicht werden.

Als weitere Argument für eine möglicherweise vorsichtigere Vorgehensweise werden angeführt: Der EZB-Rat will vielleicht keine Entscheidungen treffen, die die Handlungsfreiheit von Draghis designierter Nachfolgerin Christine Lagarde zu sehr einschränken. Auch könnte die EZB mehr Zeit für die Konstruktion eines Staffelzinssystems benötigen, der benötigt würde, um die Erwartung weiter sinkender Zinsen zu stützen.

Es gibt derzeit durchaus Volkswirte, die für Donnerstag eine Zinssenkung von 20 Basispunkten, Nettoanleihekäufe von monatlich 40 Milliarden Euro und eine stärkere Betonung der "Symmetrie" des Inflationsziels erwarten. Und durchaus haben diese Experten ausreichend Beispiele aus der jüngeren EZB-Geschichte auf ihrer Seite. Es gab aber auch schon Ratssitzungen, in deren Vorfeld der EZB eine korrekte Steuerung der Erwartungen nicht gelang.

Besonders schwer einzuschätzen ist im Vorwege, in welcher Weise sich die von Draghi forcierte Diskussion über die symmetrische Handhabung des asymmetrischen Inflationsziels (unter, aber nahe 2 Prozent) in der Kommunikation niederschlagen wird. Hier mischen sich operative und strategische Gesichtspunkte, wobei sich Christine Lagarde bereits zustimmend zu einem Strategiewechsel geäußert hat.

Je nach ihren Erwartungen hinsichtlich neuer Nettoanleihekäufe befassen sich die Analysten auch mit den Fragen, wann die EZB die Käufe starten und was sie kaufen könnte. Genannt werden sowohl Oktober 2019 als auch Januar 2020. Am wahrscheinlichsten gilt ihnen eine Zusammensetzung der Ankäufe nach bisherigem Muster, also überwiegend Staatsanleihen. Vereinzelt wird aber auch über Bankanleihen und Aktien spekuliert und eine Aussage prognostiziert, der zufolge gar keine Wertpapiergattung mehr prinzipiell ausgeschlossen werden solle.

Die deutschen Ausfuhren (Veröffentlichung Montag, 8.00 Uhr) dürften im Juli gesunken sein. Die vom Dow Jones Newswires befragten Volkswirte erwarten einen Rückgang gegenüber dem Vormonat um 0,6 Prozent. Damit schlösse sich der Kreis schwacher Konjunkturdaten für den ersten Monat des dritten Quartals.

Unter den US-Konjunkturdaten ragen die mit Inflationsbezug heraus. Erzeugerpreisdaten kommen am Mittwoch (14.30), Verbraucher- und Importpreisdaten zur gleichen Zeit am Donnerstag und Freitag. Daten zum Einzelhandelsumsatz kommen am Freitag (14.30 Uhr). Und am Donnerstag (13.00) gibt die türkische Zentralbank ihre Zinsentscheidung bekannt.

DJG/hab/smh

zurück zur Übersicht