Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Deutschland steht vor einer technischen Rezession
Erscheinungsdatum Website: 14.08.2019 16:35:02
Erscheinungsdatum Publikation: 15.08.2019
FRANKFURT (Dow Jones)--Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands hat sich im zweiten Quartal 2019 wie erwartet abgeschwächt und dürfte sich nach Ansicht von Volkswirten vorerst nicht bessern. Nach einem leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal erwarten sie für das dritte Quartal einen weiteren BIP-Rückgang, womit sich Deutschland in einer "technischen Rezession" befände. Von einer echten Rezession mit stark steigender Arbeitslosigkeit ist Deutschland allerdings noch weit entfernt. Und eine bis 1991 zurückreichende Revision früherer BIP-Daten erhöht sogar die rechnerische Wachstumsbasis für das Gesamtjahr 2019.
Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamts (Destatis) sank das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal wie erwartet saison- und kalenderbereinigt um 0,1 Prozent und lag um 0,4 (erstes Quartal: 0,9) Prozent über dem Niveau des Vorjahresquartals. Im ersten Quartal war das BIP um 0,4 Prozent gestiegen.
Gestützt wurde das Wachstum laut Destatis vom Privatkonsum und Staatskonsum. Gestiegen sind laut Destatis außerdem die Investitionen, wobei die Bauinvestitionen aber rückläufig waren. Bremsend wirkte der Außenhandel, da die Exporte stärker als die Importe sanken. Die Wirtschaftsleistung wurde von 45,2 Millionen Erwerbstätigen erbracht, das waren 435.000 Personen oder 1,0 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Lampe: Risiko einer echten Rezession nimmt zu
Nach Einschätzung des Bankhauses Lampe steht Deutschland vor einer technischen Rezession, also einem weiteren BIP-Rückgang im laufenden dritten Quartal. Chefvolkswirt Alexander Krüger rechnet damit, dass zu den bekannten Problemen der Industrie eine "Gegenreaktion" auf den starken Konsumanstieg im zweiten Quartal kommen wird. "Die Schwelle dafür, dass wir in eine echte Rezession abgleiten, liegt wegen der hohen Zollrisiken recht niedrig", sagte er.
KfW-Volkswirt Klaus Borger sieht Deutschland ebenfalls vor einer technischen Rezession und ist bezüglich des Ausblicks noch skeptischer. "Mit den eskalierenden Handelskonflikten der USA, dem immer wahrscheinlicheren Chaos-Brexit und der schwächelnden Weltwirtschaft hat sich seit dem Sommer vergangenen Jahres der perfekte Sturm zusammengebraut", schrieb er in einem Kommentar. Erst habe die exportabhängige deutsche Volkswirtschaft dadurch zunehmend Schlagseite bekommen, nun drohe sie in schwerer See ganz zu kentern.
Die ING sieht bereits erste Hinweise darauf, dass der Widerstand der deutschen Binnenkonjunktur gegen die externen Schocks zu bröckeln beginnt. "Gewinnwarnungen, erste Entlassungen, ein Anstieg der Kurzarbeit, ein sinkendes Verbrauchervertrauen und eine schwächere Dynamik im Dienstleistungssektor lassen die Alarmglocken läuten", schrieb ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski in einem Kommentar. Der weitere Kurs der Wirtschaft werde nun nicht nur von externen Ereignissen, sondern auch den Schritten der Regierung abhängen.
ING fordert wirtschaftspolitische Reaktionen des Staats
Brzeski zufolge muss der Staat nun einerseits kurzfristig die Wirtschaft ankurbeln, zugleich aber das langfristige Wachstumspotenzial stärken - mit Maßnahmen in den Themenbereichen Digitalisierung, Klimaschutz, Energiewende, Infrastruktur und Ausbildung. 2008/2009 habe es noch pure keynesianische Politik getan, heute müssten auch strukturelle Probleme gelöst werden, meinte Brzeski.
Eine rechnerische Auswirkung auf den BIP-Verlauf hat die Revision, die Destatis bis ins Jahr 1991 zurück vorgenommen hat. Von Belang für das laufende Jahr ist, dass die BIP-Veränderungsraten für das dritte Quartal 2018 auf minus 0,1 (minus 0,2) Prozent und die für das vierte auf plus 0,2 (0,0) Prozent korrigiert wurden.
Das erhöht für den Durchschnitt des Jahres 2019 die Wachstumsbasis - nach Berechnung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer um 0,1 Prozentpunkte. "Unsere Prognose von 0,4 Prozent ist also mit Aufwärtsrisiken verbunden, obwohl sich die Wirtschaft zuletzt wie von uns erwartet enttäuschend entwickelt hat", schrieb er in einem Kommentar. Für das dritte Quartal erwartet Krämer eine BIP-Stagnation.
DJG/hab/apo