Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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EZB nimmt Maß für Zinssenkung

Erscheinungsdatum Website: 19.07.2019 18:45:02
Erscheinungsdatum Publikation: 22.07.2019

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FRANKFURT (Dow Jones)--Die bevorstehende Woche bietet einen bunten Strauß an Themen, gekrönt von der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag. Dieses Treffen ist von einiger Spannung umgeben, denn es ist nicht - wie sonst so oft - im Vorhinein klar, was genau passieren wird. Es könnte sein, dass die EZB eine Zinssenkung vornimmt und damit der US-Notenbank vorausprescht, die eine Woche später ganz sicher ihren Leitzins senken wird. Denkbar ist auch, dass die EZB-Ratsmitglieder erst einmal genau die Konjunktur vermessen wollen und dann erst im September handeln.

Grundsätzlich scheinen bei der EZB die Würfel für eine weitere geldpolitische Lockerung gefallen zu sein. Zunächst hatte Präsident Mario Draghi die Anleger nach der Sitzung der EZB im Juni enttäuscht, als er nahelegte, dass die Wirtschaft der Eurozone weiter nachlassen müsse, bevor die Notenbank handeln würde. Wenige Tage danach hat Draghi seinen Kurs in Sintra aber geändert und signalisiert, dass neue Impulse auf dem Weg seien.

Bemerkenswert waren auch die Äußerungen des neuen EZB-Chefvolkswirts Philip Lane, der Negativzinsen als effektiven Weg beschrieb, um die niedrige Inflationsrate auf das EZB-Preisziel von knapp 2 Prozent zu heben. Der EZB-Rat sei bei Bedarf "vorbereitet und handlungsfähig", sagte Lane. Ob der Einlagenzins schon am Donnerstag - um 10 Basispunkte auf minus 0,50 Prozent - gesenkt wird oder erst im September, dürfte vermutlich vom Verlauf der internen Diskussion im Rat abhängen.

Ihr begrenztes Pulver will die EZB aber sicherlich nicht auf einen Schlag verschießen. Falls der Kauf von Anleihen also überhaupt wieder aufgenommen wird, könnte daher die fixe Ankündigung bis zum September auf sich warten lassen. Dann dürfte die EZB auch ihre viel zu optimistischen Prognosen zu Wachstum und Inflation reduzieren. EZB-Direktor Benoit Coeure deutete allerdings an, dass neue Anleihenkäufe weniger wahrscheinlich seien als der Einsatz anderer Instrumente, etwa die Forward Guidance zu den Zinsen.

Vor dem Höhepunkt am Donnerstag gibt es eine bunte Agenda, die am Dienstag mit dem Quartalsbericht der EZB zur Kreditvergabe sowie dem Update zum World Economic Outlook des Internationalen Währungsfonds (IWF) beginnt. Im April hatte der IWF seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft 2019 auf 3,3 (zuvor: 3,5) Prozent gesenkt.

Seitdem hat sich nichts Weltbewegendes geändert, daher dürfte sich an der Prognose auch wenig ändern. Aber der IWF wird sicher wieder vor einer Eskalation warnen bei Zöllen, Nahost und Brexit. Apropos Brexit: Im Duell um den Posten des Premierministers zwischen Boris Johnson und Jeremy Hunt soll am Dienstag der Gewinner feststehen.

Am Mittwoch folgen die deutschen und europäischen Einkaufsmanagerindizes für Juli (1. Veröffentlichung), die Geldmenge M3 der EZB und das belgische Geschäftsklima. Auch aus den USA berichtet IHS Markit über die Einschätzungen der Einkaufsmanager.

Der "Superdonnerstag" beginnt um 10.00 Uhr zunächst mit dem Ifo-Geschäftsklima für Juli. Angesichts des Zollstreits, der Gefahr eines harten Brexits und der wachsenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran hatte sich die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft zuletzt spürbar eingetrübt. Von Dow Jones Newswires befragte Ökonomen rechnen mit einem weiteren Rückgang des wichtigsten deutschen Konjunkturbarometers.

Um 13.00 Uhr gibt am Donnerstag die türkische Zentralbank ihre Zinsentscheidung bekannt. Auch dieser Termin ist spannend, denn Präsident Recep Tayyip Erdogan hat erst am 6. Juli überraschend den Gouverneur der Notenbank entlassen und damit die Bedenken der Anleger über deren Unabhängigkeit geschürt. Den Posten übernahm der bisherige Stellvertreter Murat Uysal - er gilt als Befürworter einer lockeren Geldpolitik.

Bekanntermaßen vertritt Präsident Erdogan eine unkonventionelle Zinspolitik; aus seiner Sicht sorgen hohe Zinsen für hohe Inflation und niedrige Zinsen für niedrige Inflation. Diese durch das Zinsverbot im Islam geprägte Sichtweise dürfte bei vielen seiner eher traditionell ausgerichteten Wähler gut ankommen. Die Türkei leidet zurzeit unter einer Inflation von rund 15 Prozent. Der Leitzins beträgt 24,00 Prozent, Ökonomen rechnen mit einer Senkung um etwa 200 Basispunkte. Sollte der neue Gouverneur das Steuer tatsächlich mächtig herumreißen, dürfte es zu einem neuen Lira-Abverkauf kommen.

Wie üblich wird die EZB am Donnerstag um 13.45 Uhr ihre Beschlüsse mitteilen, gefolgt um 14.30 Uhr von Draghis Pressekonferenz. Bei der Frage-und-Antwort-Runde mit Journalisten wird Draghi sicherlich wieder zum Thema Staffelzins befragt werden. In Deutschland klagen Banken schon seit langer Zeit, dass die negativen Zinsen an ihren Erträgen zehren.

Die Woche endet am Freitag mit dem Ergebnis der EZB-Umfrage "Survey of Professional Forecasters" für das dritte Quartal. Außerdem veröffentlicht das US-Handelsministerium die erste Schätzung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das zweite Quartal. Im Factset-Konsens rechnen Volkswirte mit einem Rückgang der Wachstumsrate auf 1,8 nach 3,1 Prozent im ersten Quartal. Im ersten Quartal wurde das Wachstum insbesondere vom Lageraufbau und Außenhandel getragen, nun dürfte das Pendel zurückschwingen. Außerdem werden die Vorquartalszahlen einer jährlichen Benchmark-Revision unterzogen.

DJG/apo/smh

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