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China: Binnenorientierung gefährdet das Wachstum

Erscheinungsdatum Website: 03.07.2019 10:10:04
Erscheinungsdatum Publikation: 04.07.2019

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Das System leidet unter dem Protektionismus

BEIJING (Dow Jones)--Ohne ein anhaltend starkes Exportwachstum wird China Probleme haben, ein Land mit hohen Einkommen zu werden. Trotz jüngster Anzeichen einer Abschwächung hatte der Konsum im ersten Quartal einen Anteil von 65% am Wachstum. Wie Wang Jinzhao von Beijings Entwicklungsforschungszentrum Mitte Juni ausführte, spielt der Export in der Wachstumsstrategie nicht mehr die große Rolle. Im letzten Jahr trugen die Ausfuhren nur noch 18% zum Bruttoinlandsprodukt bei. 2006 waren es noch 35%.

Diese scheinbare Stärke verdeckt jedoch ein großes Manko. China hat bislang weder bewiesen, dass Wachstum auf aktuellem Niveau ohne einen robusten Export möglich ist, noch dass eine Zunahme der Verschuldung ohne die Einnahmen verhindert werden kann.

Beijing setzt seine Hoffnungen auf den großen Binnenmarkt. Mit neuen Technologie-Champions und höherer Produktivität soll einer Schuldenkrise vorgebaut werden. Das System leidet jedoch unter Protektionismus. Es ist Geisel eines ineffizienten Finanzsystems und bietet nur fragwürdigen Rechtsschutz für Innovatoren.

Exportmärkte sind nicht nur wichtig für das Wachstum. Sie fordern von allen Teilnehmern auch Marktdisziplin, die im Falle Chinas den inhärenten Schwächen der sozialistischen Marktwirtschaft entgegenwirkt. Ohne diese Disziplin kann eine Wirtschaft kaum erfolgreich sein.

Houze Song vom Paulson Institute verweist dazu auf das Beispiel Liaoning, einer der am langsamsten wachsenden und am meisten verschuldeten Provinzen Chinas. Die als Rostgürtel bekannte Region fiel in den Anfangsjahren der chinesischen Reformen hinter die neuen wirtschaftlichen Kraftzentren wie die Provinz Guangdong zurück, war aber dennoch Anfang der 2000er-Jahre ein bedeutender Exporteur in das übrige China und in die Welt mit einem Handelsüberschuss von rund 12%. Davon ist heute nicht mehr viel übrig. Der Marktanteil von Liaoning bei einer Reihe von Industriegütern in China - von Klimaanlagen über Bier bis hin zu Chemiefasern - ist eingebrochen.

Song sieht die wesentliche Ursache für Liaonings Niedergang in der schädlichen Kombination von Überinvestition und Protektionismus. Liaonings Unternehmen, so zum Beispiel Brilliance Auto, scheiterten laut Song am Zwang, mit schlecht gemanagten lokalen Zulieferern zusammenzuarbeiten und am allzu leicht verdienten Geld, das die Regierung versprach. Damit ging der Fokus auf den Export verloren.

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass Chinas Plan zur Modernisierung der Industrie, der früher unter dem Namen "China 2025" bekannt war, vor allem auf staatliche Investitionen und hohe Ziele auf lokalen Ebenen setzt. Die Huaweis der Zukunft könnten echte Technologieführer sein. Sie könnten jedoch auch durch den Zwang zum Kauf teurer, aber dennoch minderwertiger chinesischer Chips oder Robotik aus staatlich unterstützter Produktion ausgebremst werden. Geschützte Industrien in einem großen, gebundenen Markt stehen anders als Unternehmen des freien Markts häufig für mangelnde Produktivität und höhere Preise.

Ein Beispiel sind die chinesischen Pharmaunternehmen. Die Preisliberalisierung 2015 sollte einen Investitions- und Forschungsboom auslösen, der von Chinas erschwerten Zulassungsverfahren für ausländische Arzneimittel begünstigt wurde.

Zwar stiegen auch die Investitionen, aber der Haupteffekt war eine Inflationsspirale, die 2017 fast 7% erreichte und die Renditen börsennotierter Unternehmen deutlich steigen ließ. Ein gewaltiger öffentlicher Aufschrei zwang Beijing schließlich, den Kurs umzukehren und die ausländischen Zulassungen wieder zu beschleunigen.

Eine unabhängige Justiz, die Antimonopolgesetze und den lauteren Wettbewerb entschieden durchsetzt, könnte solchen Entwicklungen entgegensteuern. Stattdessen hat sich Chinas Wirtschaftspolitik in die entgegengesetzte Richtung bewegt und die Konzentration in Sektoren wie Banken und Stahl vorangetrieben. Von mehr als 2.000 Unternehmungen, die in den ersten zehn Jahren nach Inkrafttreten des Antimonopol-Gesetzes 2007 von den Wettbewerbshütern geprüft wurden, sind nur zwei abgelehnt worden. An beiden waren ausländische Firmen beteiligt.

Der Strategiewechsel, weg vom exportgetriebenen und hin zum Binnenmarkt-orientierten Wachstum, kostet Geld. Das Wirtschaftsforschungsunternehmen Capital Economics hat ermittelt, dass Länder mit einem raschen Produktivitätswachstum von mehr als 3% ohne zweistelliges Exportwachstum im Wesentlichen unbekannt sind.

China könnte eventuell verlorene US-Exporte im Rest der Welt ersetzen. Dies birgt jedoch die Gefahr politischer Vorbehalte in diesen Ländern.

Die Auswirkungen auf die Verschuldung wecken ebenfalls Sorgen. Das Land hat es in den letzten beiden Jahren geschafft, seine bis dahin ständig steigende Verschuldung aufzuhalten. Dieser begrenzte Sieg wurde jedoch mit einem Exportwachstum von annähernd 10% im vergangenen Jahr erzielt. Eine Stabilisierung der Verschuldung ohne Produktivitäts- und Wachstumsimpulse durch robuste Exporte könnte sich deshalb als unmöglich erweisen.

Auch die USA sind nicht frei von Problemen wie Branchenkonzentration und Protektionismus. Im Gegensatz zu China gibt es hier jedoch eine starke Justiz und ein effizienteres Finanzsystem, ganz zu schweigen von einer freien Presse, die sich nicht scheut, Unternehmen und Kommunalregierungen bloßzustellen.

In Ermangelung dieser Kräfte war Chinas Integration in die globalen Exportmärkte ein entscheidender Faktor für seinen Fortschritt. Wer diese Verbindung schwächt, schwächt auch das Wachstum.

Nathaniel Taplin

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