Euro Intern

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Scholz sieht nach Steuerschätzung keine großen Spielräume

Erscheinungsdatum Website: 26.10.2018 00:25:03
Erscheinungsdatum Publikation: 29.10.2018

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BERLIN (Dow Jones)--Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat angesichts nur noch geringerer erwarteter Steuermehreinnahmen in den kommenden Jahren eine "Normalisierung der Einnahmeentwicklung" festgestellt und einer umfassenden Steuerreform eine Absage erteilt. Es gebe nur noch "geringe zusätzliche Finanzspielräume", sagte Scholz bei einer Pressekonferenz zur neuen Steuerschätzung in Berlin. "Die Bäume wachsen nicht in den Himmel", konstatierte der Finanzminister. Die Aufgaben könnten finanziert werden. "Aber große zusätzliche weitere Spielräume sind eben nicht sichtbar."

Der Finanzminister und seine Amtskollegen in den Ländern können von 2018 bis 2023 insgesamt mit 6,7 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen rechnen als bisher erwartet, veranschlagt der Arbeitskreis Steuerschätzung, der drei Tage lang die neuen Zahlen in Hamburg berechnet hat. Für den Bund bezifferte Scholz die Mehreinnahmen bis dahin auf 2,0 Milliarden Euro. Dieses Steuerplus soll nach seinen Angaben der Verteidigungs- und der Entwicklungspolitik sowie einer steuerlichen Forschungsförderung zugute kommen, die der Bund bald vorlegen will.

Der SPD-Haushaltssprecher Johannes Kahrs betonte ebenfalls, die Steuerschätzung biete "keinen Anlass für wilde Steuersenkungsdiskussionen". Der Unions-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg (CDU) erklärte, die Länder profitierten nach der Schätzung am meisten. Der Bund dürfe deshalb "nicht immer weiter Steueranteile an die Länder und Kommunen abgeben", wolle er seine eigenen Aufgaben noch angemessen erfüllen. Für Scholz' Pläne zu einer europäischen Arbeitslosenversicherung sei im Finanzplan der Regierung keine Vorsorge getroffen. "Minister Scholz muss jetzt erklären, wie er seine teuren europapolitischen Ideen auf Basis dieser Steuerschätzung finanzieren will", forderte Rehberg.

Unternehmen fordern Steuersenkungen

Auch die Opposition übte Kritik an Scholz. "Anstatt einzusehen, dass die fetten Jahre vorbeigehen und für stürmischere Zeiten vorzusorgen, ignoriert die Regierung beharrlich alle Warnsignale", erklärten für die Grünen Fraktionsvize Anja Hajduk und Haushaltssprecher Sven-Christian Kindler. Die Risiken für den Bundeshaushalt nähmen durch eine Veränderung beim Zinsniveau, ein Abflauen der Konjunktur und anderes stetig zu, doch eine weitsichtige und nachhaltige Haushaltspolitik suche man vergeblich. "Finanzminister Olaf Scholz hat keinen Plan für einen zukunftsfesten Haushalt."

Die Wirtschaft beharrte aber auf Steuerentlastungen. "Die Bundesregierung bekommt die Quittung für ihre Reformverweigerung", erklärte der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven. Deutschland verharre seit Jahren "im steuerpolitischen Dämmerschlaf". Anstatt Betriebe und Bürger zu entlasten und in die Zukunft zu investieren, sei der Sozialstaat weiter ausgebaut worden. "Damit muss jetzt angesichts der sich abschwächenden Konjunktur Schluss sein", forderte Ohoven. Nötig seien wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für den Mittelstand.

Die Wirtschaft hatte den Finanzminister bereits vor Bekanntgabe der neuen Schätzungen zu Steuererleichterungen gedrängt. "Eine Steuersenkung ist überfällig", betonte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. ""Ein deutliches Signal wäre eine effektive Steuerbelastung der Unternehmen von maximal 25 Prozent", meinte er. Zentral seien eine Einbeziehung der Unternehmen in den Abbau des Solidaritätszuschlags und der Einstieg in eine steuerliche Forschungsförderung.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, warnte, ohne Reformen werde Deutschland 2022 im Vergleich der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die höchste Steuerbelastung haben. "Es ist höchste Zeit für steuerliche Entlastungen", forderte auch er. Die Regierung solle die Rahmenbedingungen verbessern. Dazu gehörten ein vollständiger Abbau des Solidaritätszuschlags und eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen.

2,5 Milliarden mehr für den Bund

Über die Verwendung von Mehreinnahmen war bereits im Vorfeld der Schätzung ein politischer Disput entbrannt: Während Scholz damit Investitionen finanzieren und den Schuldenabbau in wirtschaftlich guten Zeiten voranbringen will, war Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit der Forderung nach Entlastungen für Unternehmen vorgeprescht.

Nach der neuen Schätzung sollen die Mehreinnahmen in den Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden in diesem Jahr bei 3,2 Milliarden Euro liegen - kommendes Jahr soll es dann aber 2,3 Milliarden Euro weniger an Steuereinnahmen für sie geben. Dem Bund allein winken dieses Jahr zusätzliche Steuereinnahmen von 2,5 Milliarden Euro, im nächsten Jahr sollen es dann aber 0,7 Milliarden weniger sein als ursprünglich erwartet.

Insgesamt sollen die Steuereinnahmen nach der neuen Schätzung 2018 gegenüber dem Vorjahr um 5,5 Prozent auf 775,3 Milliarden Euro und 2019 um 3,8 Prozent auf dann 804,6 Milliarden Euro wachsen. Im Mai hatten die Schätzer noch mit Einnahmen von 772,1 Milliarden Euro in diesem und 806,9 Milliarden Euro im kommenden Jahr gerechnet. Für die nachfolgenden Jahre veranschlagen die Experten jährliche Zuwächse zwischen 3,7 und 4,5 Prozent. Im Jahr 2023 sollen die Einnahmen nach ihrer Kalkulation bei 940,7 Milliarden Euro liegen.

Dem Arbeitskreis Steuerschätzung gehören Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen sowie Experten von Verbänden, Wirtschaftsforschungshäusern und Behörden an. Das Gremium schätzt jedes Jahr im Frühjahr und Herbst die zu erwartenden Steuereinnahmen. Seine Prognosen bilden dann die Grundlage für die Haushaltsplanungen.

DJG/ank/brb/29.10.2018

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