Russland Aktuell

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Herausgeputzt für die Welt

Erscheinungsdatum Website: 05.07.2018 14:45:05
Erscheinungsdatum Publikation: 06.07.2018

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MOSKAU (Dow Jones)--Als sich vergangene Woche John Bolton, nationaler Sicherheitsberater der USA, mit Wladimir Putin im Kreml traf, machte der Amerikaner seinem Gegenüber ein unerwartetes Kompliment. "Ich bin gespannt zu hören, wie Sie die Weltmeisterschaft so erfolgreich meistern konnten", sagte Bolton dem russischen Präsidenten. Die USA werden zusammen mit Mexiko und Kanada 2026 Gastgeber der WM sein.

Die diesjährige Meisterschaft ist bisher unerwartet glatt gelaufen. Fast 1 Mio Touristen haben dabei einen ungewöhnlich guten Eindruck von dem Land erhalten, von dem laut einer Gallup-Umfrage aus dem vergangenen Jahr nur 10% der Menschen aus aller Welt ein positives Bild haben.

Vor Beginn der Weltmeisterschaft waren die Erwartungen nicht besonders hoch. Die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 wurden von verschiedensten Problemen überschattet - von Hotelzimmern ohne Türgriffe bis hin zur Enthüllung des russischen Doping-Programms.

Einige Politiker aus teilnehmenden Ländern hatten geplant, die WM wegen politischer Spannungen zu boykottieren. Viele fürchteten gefährliche Unruhen durch Hooligans. Keiner schien zu glauben, dass die Verkehrsinfrastruktur des Landes in weniger bekannten Städten wie Saransk und Samara dem massiven Besucherzufluss gewachsen sei.

Doch bisher hat sich keines der Pannenszenarien bewahrheitet. Dabei wurde nichts dem Zufall überlassen. Die Regierung hat die WM genutzt, um die schon fast zwei Jahrzehnte andauernde Herrschaft Putins zu legitimieren und das schlechte internationale Image Russlands aufzupolieren.

"Die Atmosphäre ist absolut fantastisch", sagt Alexey Sorokin, der das russische WM-Organisationskomitee leitet. "Wir hatten noch nie zuvor so viele Gäste im Land."

Die Weltmeisterschaft hat bei Touristen viele Vorurteile ausgeräumt. Sie fanden in Russland die Infrastruktur einer Industrienation, Ordnung und freundliche Menschen vor. Doch am meisten überraschte das wohl die Russen selbst.

Die Regierung hat 12 Mrd US-Dollar für die Vorbereitung auf die WM ausgegeben. Ein Großteil davon ist in Stadien, Flughäfen und Straßen zu den Austragungsstätten geflossen, zeigen offizielle Zahlen. Regionalverwaltungen investierten weitere Milliarden. Einige Investitionen dienten allerdings lediglich dazu, die Anzeichen von Armut und Stagnation zu verschleiern. Russland ist im vergangenen Jahrzehnt im Schnitt pro Jahr nur um 0,6% gewachsen.

Einige Fortschritte, wie die bessere Anbindung der Gastgeberstädte an das öffentliche Verkehrsnetz, sind für Touristen, die noch nie von Städten wie Wolgograd und Rostow gehört hatte, nicht offenkundig. Andere Veränderungen wurden scharf kritisiert. Russland ist berüchtigt für seine große Zahl streunender Hunde, doch kurz vor der WM verschwand das Problem. Behörden hatten mindestens 110 Mio Rubel (zu dem Zeitpunkt rund 2 Mio Dollar) dafür ausgegeben, die Straßen von den Hunden zu befreien, berichtet die Tierschutzaktivistin Ekaterina Dmitrieva. Um Geld und Zeit zu sparen, haben Behörden zehntausende Hunde vergiftet, anstatt sie in Tierheimen unterzubringen.

Andere Aspekte des Wandels dürften die Lebensqualität der Einheimischen dauerhaft verbessern. Der neue Flughafen in Samara ist jetzt gefüllt mit Sitzsäcken, Flachbildfernsehern und modischen Craft-Brauereien. Eine Straße zwischen Samara und der anderen Gastgeberstadt Kasan, die in einem desolaten Zustand war, wurde kurz vor dem Spiel zwischen Russland und Uruguay dort erstmals seit vielen Jahren repariert.

Viele Russen glauben jedoch nicht, dass die freundliche Atmosphäre und die neuen Freiheiten andauern werden. "Ich habe das alles in Sotschi schon einmal gesehen: lächelnde Polizisten, freundliche Taxifahrer, höfliche Beamte", sagt der Moskauer IT-Manager Dimitri Perlin auf dem Weg zu einem Fußballspiel. "Nach einem Monat war alles wieder beim Alten."

In einem Video, das in den sozialen Medien verbreitet wird, ist ein Russe zu sehen, der auf einer Moskauer Touristenmeile spaziert und zwei Polizisten fragt, ob man auch nach der WM noch in der Öffentlichkeit Bier trinken dürfe. "Bist du Russe? Dann nein", lautete die Antwort. "Wenn du Ausländer bist, dann ja."

"Russland - das russenfeindlichste Land der Welt", schrieb Alexei Kowalew, Kommentator und ehemaliger Redakteur staatlicher Medien bei Twitter, als Reaktion auf dieses und ähnliche Videos.

Die Euphorie ist nicht zuletzt eine Konsequenz des unerwarteten Erfolgs der Nationalmannschaft. Sie galt vor Beginn der WM als schlechteste unter den Teilnehmern. Viele Fans hielten ihre eigene Mannschaft für beschämend. Doch anstatt das Land trotz Heimvorteil zu blamieren, hat Russland inzwischen sogar die Spanier nach Hause geschickt und tritt nun erstmals seit 1970 im Viertelfinale an.

Das WM-Fieber hat jedoch auch seine Schattenseiten. Der Staat hat die Stimmung genutzt, um gegen Dissidenten vorzugehen und unbeliebte Reformen zu verabschieden. Am Tag der WM-Eröffnung kündigte die Regierung an, das Rentenalter um bis zu acht Jahre zu erhöhen, was laut Umfragen 92% der Russen ablehnen. Putins Beliebtheitswerte fielen trotz der hervorragenden Leistung der Nationalmannschaft.

rus/6.7.2018

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