Märkte der Welt

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Das Interesse an einer tieferen Integration in Europa schwindet

Erscheinungsdatum Website: 20.12.2017 13:50:04
Erscheinungsdatum Publikation: 21.12.2017

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LONDON (Dow Jones)--Beim EU-Gipfel in Brüssel hatte nicht etwa der Brexit oberste Priorität, sondern ein ganz anderes Thema, das erst zur Sprache kam, als die britische Premierministerin Theresa May wieder abgereist war: Wie kann die Eurozone widerstandsfähiger werden? EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat ein ganzes Reformpaket vorgeschlagen. Darin ist die Rede von einem Finanzminister, der einem Ministerium für die Eurozone vorsteht und das neue Budget der Währungsunion verwaltet. Juncker will außerdem den Euro-Rettungsfonds ausbauen und ihn zu einer mächtigeren Version des IWF machen.

Für manche ist das ein weiterer Beweis dafür, dass die EU sich zu einem Superstaat entwickelt. SPD-Chef Martin Schulz bestätigte diese Ängste mit seiner Forderung nach den "Vereinigten Staaten von Europa". Doch nur weil einige Personen für eine tiefere Integration plädieren, heißt das nicht, dass es auch so kommt. Tatsächlich schwindet das Interesse daran, seit die Eurozone sich deutlich erholt hat. Das Wachstum dürfte in diesem Jahr auf 2,5% und somit über den Vorkrisendurchschnitt steigen. Die Zuversicht von Unternehmen und Verbrauchern ist so groß wie zuletzt bei der Einführung des Euro im Jahr 2000, und die Arbeitslosenquote fällt in allen Teilen der Eurozone.

"Wir sollten das Dach reparieren, solange die Sonne scheint", sagt Juncker. Das ist wahr, doch viele der politischen und strukturellen Probleme, die zur Eurokrise geführt hatten, sind bereits gelöst. Das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank korrigierte die deflationären Tendenzen, die aus der Sparpolitik und den Strukturreformen hervorgingen. Die Bankenunion löste das Problem, dass einige nationale Aufseher ihre Finanzinstitute nicht gezwungen hatten, ausreichend Kapital vorzuhalten und faule Kredite abzuwickeln. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde geschaffen, weil es zu Beginn der Krise keinen glaubwürdigen Rettungsfonds gab, der eine Ansteckungsgefahr unter den Einzelstaaten ausgeschlossen hätte.

Viele Vorschläge der Kommission scheinen zudem keine neuen Schutzmechanismen zu bieten. Vielmehr sollen existierende Strukturen unter das Dach der Kommission gebracht werden. Sie will, dass der ESM - bisher ein zwischenstaatliches Abkommen - in die EU-Verträge übergeht und dem neuen Finanzminister unterstellt ist. Dieser wäre nicht nur EU-Kommissar, sondern auch Vorsitzender der Eurogruppe.

Vielen nationalen Regierungen erscheint das wie ein Machtspiel. Sie fürchten, dass Brüssel dadurch mehr Einfluss auf die Verwendung gemeinsamer Gelder hätte. Darüber entscheiden derzeit die Nationalregierungen, weshalb Vertreter der EU-Mitglieder solchen Maßnahmen womöglich gar nicht zustimmen würden. Doch wie könnte ein EU-Finanzministerium je einflussreich genug sein, um auch größeren Mitgliedsstaaten wirklich helfen zu können? Und wie kann die Kommission sichergehen, dass sich dieses System nicht in eine Transferunion verwandeln würde? Auch deshalb sind viele skeptisch.

Mehr Aussichten auf Erfolg hat die Kommission mit ihrem Vorschlag, dass die Eurozone ihre Bankenunion stärken sollte, indem der ESM an den Einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus gekoppelt und ein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds geschaffen wird. Doch solange es keinen Weg gibt, die Risiken der einzelnen Banken durch die Anleihen der eigenen Regierung einzuschränken und Staatsanleihen geordnet zu restrukturieren, drohen diese Mechanismen zu einem Blankoscheck zu werden. Schwache Regierungen werden indes kaum einwilligen, dass Banken nur bis zu einer gewissen Grenze Staatsanleihen halten dürfen - zumindest so lange nicht, bis die EU eine andere Kapitalquelle für sie schafft. Nach aktuellem Stand gibt es wenig Interesse an einer Vergemeinschaftung von Verbindlichkeiten.

Die Eurozone muss sich also womöglich zufrieden geben mit ihrer immer noch nicht perfekten Struktur und die volkswirtschaftliche Stabilität den nationalen Haushalten überlassen. Bankenrisiken dürften weiterhin Sache der Bankenaufsicht und der EZB als Retter der letzten Instanz sein. Immerhin ist das weit besser als die Strukturen, die vor der Krise existierten.

Die Eurozone hat auch noch andere Möglichkeiten, um widerstandsfähiger zu werden. Die wahren Herausforderungen sind die Steigerung der Produktivität sowie der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Die Verantwortung dafür obliegt den Nationalregierungen, doch auch auf EU-Ebene lässt sich viel ausrichten. Das Budget kann etwa strategisch besser eingesetzt werden, um sinnvolle Reformen zu unterstützen. Die Zeit der Eurozone wäre weit besser genutzt, wenn man sich darauf konzentrierte, meint Dow-Jones-Korrespondent Simon Nixon.

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