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Wie Macron die Brexit-Verhandlungen beeinflusst

Erscheinungsdatum Website: 15.05.2017 15:00:11
Erscheinungsdatum Publikation: 18.05.2017

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LONDON (Dow Jones/AFP)--In London beobachtet man alle Ereignisse in Europa gerade durch die Brexit-Brille. Über die französischen Präsidentschaftswahlen will man dort vor allem wissen: Ist Emmanuel Macrons Wahlerfolg nun gut oder schlecht für Großbritannien und die Austrittsverhandlungen mit der EU?

Der angehende französische Präsident wird Besseres zu tun haben, als britische Probleme zu lösen. Er muss sich zuerst darum kümmern, bei den Parlamentswahlen im nächsten Monat eine Mehrheit herzustellen. Danach wird die Beziehung zu Deutschland oberste Priorität haben.

Beim Thema Brexit wird Macron sich zuerst als Hardliner geben. Im Wahlkampf nannte er den Brexit einmal eine Straftat - Großbritannien solle außerhalb der EU keine EU-Rechte genießen - sonst zerfalle die Union.

Trotzdem atmete man in London auf, als Macron gewann. Premierministerin Theresa May gratulierte ihm von Herzen und beschrieb ihn als "einen der engsten Verbündeten" Großbritanniens.

Das war mehr als eine höfliche Floskel. Die Sorge war, dass ein Wahlsieg für die EU-kritische Marine Le Pen die Gemeinschaft so in Aufruhr versetzt hätte, dass konstruktive Austrittsverhandlungen nahezu unmöglich geworden wären.

Nach Macrons Wahlerfolg sagte sein oberster Wirtschaftsberater Jean Pisani-Ferry, dass Großbritannien und Frankreich ein gemeinsames Interesse daran hätten, den Wohlstand zu bewahren und weiter in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung zusammenzuarbeiten. Macron wolle Großbritannien zwar nicht abstrafen, der angehende Präsident glaube jedoch weiterhin, dass Europa Teil der Lösung für die heutigen Probleme sei. "Er ist nicht jemand, der implizit einer Zerstückelung der EU zustimmen würde", sagt Pisani-Ferry

Macron wird also keine Anreize zum EU-Austritt schaffen wollen. Auch er dürfte sich der Haltung anschließen, dass Großbritannien außerhalb der EU keine günstigere Beziehung zu dem Staatenverbund genießen kann als bisher. Auch aus innenpolitischen Gründen wird Macron sich hart geben. Die traditionellen politischen Parteien in Frankreich erleben turbulente Zeiten. Den größten Widerstand während seiner fünfjährigen Amtszeit dürfte er daher aus Le Pens Fraktion erfahren. Bei den Brexit-Verhandlungen hat er guten Grund, die Schwierigkeiten des EU-Austritts in den Vordergrund zu stellen und so zu zeigen, dass ein Austritt keine gute Idee ist.

In einem Interview mit der BBC sagte Pisani-Ferry, dass Frankreich und Großbritannien in einigen Fragen gegensätzliche Interessen hätten. Welche das genau sind, wollte er nicht sagen. "Wir verstehen, dass London sehr auf die Brexit-Verhandlungen fokussiert ist. Doch obwohl wir die Bedeutung der Angelegenheit verstehen, haben wir noch viele andere dringliche Aufgaben", sagte er.

Ein Streitpunkt werden die Finanzdienstleistungen sein. In Deutschland glaubt man, dass Macron den harten Kurs der Vorgängerregierung weiterführen und es der britischen Finanzindustrie vor allem schwer machen wird, in der EU und mit EU-Kunden Geschäfte zu machen.

Mehrere Berliner Politiker sagten, dass Paris gerne Londoner Unternehmen dazu bewegen würde, Jobs und Niederlassungen auf den Kontinent zu verlagern. Die Bundesregierung bezweifelt jedoch, dass Paris, Frankfurt oder Luxemburg die Kompetenzen und kritische Masse von London ersetzen könnten. Haben EU-Unternehmen am Ende auch weniger Zugang zur Londoner City, könnten für die Unternehmen der übrigen EU-Staaten die Kosten steigen.

Deutschland und Frankreich dürften sich also einig sein, dass sie einen Kompromiss finden wollen: Einerseits sollen die wirtschaftlichen Konsequenzen des Brexit nicht ausarten, andererseits sollen keine Anreize für andere Länder geschaffen werden, ebenfalls aus der EU auszutreten.

Die größte Brexit-Sorge für Deutschland ist jedoch nicht Macron, sondern die britische Premierministerin May. Man fürchtet, dass sie die technische und juristische Komplexität des Austritts unterschätzt und dadurch einem geordneten Austritt mehr Steine in den Weg legt als mit den politischen Differenzen. Aus deutscher Sicht sollte Großbritannien sich weniger um Paris sorgen und deutlicher darlegen, was es im eigenen Land erreichen muss.

Die Europäische Union könnte nach den Worten des britischen Außenministers Boris Johnson am Ende die Rechnung für den britischen EU-Austritt zahlen. Dafür gebe es "sehr gute Argumente", sagte Johnson in einem Interview mit dem Daily Telegraph. Es gebe gewisse Güter, die Großbritannien gemeinsam mit den übrigen EU-Staaten gehörten und für die London jahrelang gezahlt habe. Der Wert dieser Güter müsse sehr genau berechnet werden.

Die bisherigen Schätzungen über die EU-Austrittsrechnung an Großbritannien wies Johnson als "absurd" zurück. Von EU-Seite war bislang von zwischen 40 und 60 Mrd EUR die Rede. Die Financial Times hatte kürzlich berichtet, die Finanzforderung der EU an die Briten wegen des Austritts könne sich sogar auf bis zu 100 Mrd EUR belaufen. "Sie wollen dieses Land mit ihrer Rechnung ausbluten", sagte der Außenminister dazu in dem Interview. Am Ende könne Großbritannien den Verhandlungstisch verlassen, "ohne überhaupt etwas zu bezahlen".

Der Daily Telegraph hatte zuvor berichtet, dass London nach britischen Schätzungen bei einem EU-Austritt 10,6 Mrd EUR aus Fonds der Europäischen Investitionsbank sowie 16,5 Mrd unter anderem aus Immobilien zustünden.

Im Vorfeld der vorgezogenen Parlamentswahl in Großbritannien im Juni hatten die Spannungen zwischen London und Brüssel in jüngster Zeit zugenommen. Johnson warf der EU in dem Interview "skrupellose Verhandlungstechniken" vor: "Sie werden ein schmutziges Spiel spielen", sagte der frühere Londoner Bürgermeister, der vor dem Referendum im vergangenen Jahr zu den entschiedensten Brexit-Befürwortern gehörte. "Wir müssen sehr auf der Hut und geistig sehr fit sein."

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