Ostwirtschaftsreport

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Deutsche Strommacht erdrückt Polen und Tschechien

Erscheinungsdatum Website: 27.02.2017 09:15:03
Erscheinungsdatum Publikation: 28.02.2017

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BERLIN (Dow Jones)--Im Herzen Europas tobt eine verborgene Schlacht. Wie auf der großen politischen Bühne geht es um deutsche Übermacht, die die kleineren Nachbarn fürchten und bekämpfen wollen. Doch sie dreht sich nicht um Exportrekorde, die Kontrolle der Wirtschaft und Flüchtlinge, sondern um Strom, der unsichtbar durch die Leitungen fließt.

Polen und Tschechien betrachten den großen Nachbarn als Aggressor, der zu viel subventionierten Strom produziert und diesen jenseits der Grenzen zu Spottpreisen ablädt. Deutschland sieht sich hingegen als Pionier der Energiewende, an dessen Wesen die Welt genesen soll. In den nächsten Jahren werden zwischen Flensburg und Garmisch tausende neue Windräder errichtet und große Solarfelder gebaut, um immer weniger Strom aus der klimaschädlichen Verbrennung von Kohle und Gas gewinnen zu müssen. An sonnen- und windreichen Tagen kommt es mittlerweile zu einem enormen Überangebot an Strom in Deutschland, weil Braunkohlekraftwerke und die verbliebenen Atommeiler in der Grundlast durchlaufen.

Des überschüssigen Stroms entledigt sich der Klima-Musterschüler, indem er ihn über die östliche Grenze schickt und die Netze in Polen und Tschechien an den Rand des Kollapses bringt. Gleichzeitig leiden die Energieerzeuger in beiden Ländern unter dem hochsubventionierten deutschen Billig-Strom. Das sei der "Kollateralschaden einer bewussten politischen Entscheidung", schimpft Barbora Peterova vom tschechischen Stromnetzbetreiber CEPS AS. Es habe "weder Konsultationen, noch Diskussionen über die Auswirkungen" gegeben, beklagt Peterova.

Deutschland bestreitet den Stromexport nach Osten nicht, argumentiert aber, dass die Probleme bei der Netzstabilität aus veralteten Leitungen resultieren. "Die Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied", erklärt Gert Schwarzbach. Er ist bei dem Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz für die Schnittstellen zwischen Deutschland und Polen sowie Tschechien verantwortlich.

Das Problem wird verschlimmert, weil der Ausbau der Stromautobahnen hierzulande weit hinter Plan liegt. Sie sollen Mitte des kommenden Jahrzehnts den Strom aus dem windreichen Norden zur Industrie in den Süden der Republik transportieren. Deutschland bedient sich nun der Netze seiner östlichen Nachbarn, um den eigenen Strom zu den Industriezentren nach Bayern und Baden-Württemberg zu bringen.

In Polen und Tschechien setzt das die Leitungen erheblich unter Stress und erhöht das Risiko von Ausfällen signifikant. Beide Länder haben deshalb über 400 Mio EUR in Phasenschieber investiert, um den Strom zurück nach Westen zu schieben. Das Netz sei dennoch "völlig verstopft", moniert Grzegorz Wilinski, ein hoher Vertreter vom Verband der polnischen Energieerzeuger. Wilinski ist gleichzeitig stellvertretender Strategiedirektor beim größten polnischen Versorger Polska Grupa Energetyczna.

Auch Deutschland steht nicht vollkommen still. 50 Hertz installiert gerade Transformatoren an zwei Orten, um den Überfluss zu zähmen. Doch wegen eines Gerichtsprozesses hat sich der Bau der Transformatoren in Vierraden in Brandenburg um drei Jahre verzögert. Die Transformatoren zusammen werden das Strom-Problem aber nicht beseitigen.

Für die deutsche Energie-Übermacht büßen müssen auch die polnischen und tschechischen Energiekonzerne. Weil die Netze mit Strom aus Deutschland voll sind, ist der Handel für die einheimischen Versorger nur bedingt möglich. Tschechiens größtes Energieunternehmen CEZ beschwert sich darüber, dass es keinen Strom mehr nach Polen liefern kann, wo er 6 EUR mehr für die Kilowattstunde bringt. "Derzeit gibt es keine Kapazität", sagt Vladimir Budinsky, der sich bei der CEZ-Bergbautochter um internationale Beziehungen kümmert. "Wir können hier kein Geschäft machen."

In Polen verbrennen die Kraftwerke heute nach Angaben des nationalen Verbandes der Energieerzeuger pro Jahr 4 Mio t weniger Kohle als 2008. Das entspricht dem Ausfall eines großen Kraftwerks. Warschau versuchte in den vergangenen Jahren vergeblich Entschädigung in Berlin zu reklamieren. Technisch ist es nicht einfach, die Überlastung des polnischen Netzes exakt mit den Überschüssen zu beweisen.

Für Polen und Tschechien wird sich die Lage trotz der erheblichen Belastungen nicht so schnell verbessern. Die Lage kann sich erst entspannen, wenn 2025 die großen Stromtrassen in Deutschland fertiggestellt sind. Beiden Ländern bleibe nur übrig, irgendwie mit der Situation zurecht zu kommen, sagt Andreas Jahn vom Energieforschungsinstitut RAP. "Es gibt nur eine andere Option", meint Jahn. "Die Grenzen zu schließen".

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