Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Brüssel dürfte Deutsche Börse/LSE-Fusion vertieft prüfen

Erscheinungsdatum Website: 28.09.2016 15:20:10
Erscheinungsdatum Publikation: 29.09.2016

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FRANKFURT (Dow Jones)--An diesem Mittwoch endet die vorläufige Prüfung des geplanten Zusammengehens zwischen Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE) durch die EU-Wettbewerbshüter. Danach dürfte Brüssel eine vertiefte Prüfung der Fusion starten. Der Genehmigungsprozess wird sich vermutlich bis Anfang kommenden Jahres hinziehen. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob die Fusion genehmigt wird, sondern auch um etwaige Auflagen.

Sollte die Fusion nach Phase I des kartellrechtlichen Genehmigungsverfahrens nicht genehmigt werden, beginnt die sehr viel intensivere Phase-II-Prüfung. Für diese werden in der Regel 90 Arbeitstage angesetzt. Angesichts der Tragweite der geplanten Börsenhochzeit gehen Analysten und Deutsche Börse/LSE selbst von einer vertieften Prüfung aus, wie eine mit dem Vorgang vertraute Person gegenüber Dow Jones erklärte.

Im Blick steht vor allem das Clearing

Brüssel prüft, ob ein Zusammenschluss von Deutsche Börse und LSE den Wettbewerb in erheblichem Maße beeinflussen würde. Untersucht werden die Bereiche Marktdaten, Indizes sowie Clearing - also die Abwicklung von Derivategeschäften. Im Blick steht vor allem das Clearing. Die EU-Wettbewerbshüter hatten im Februar 2012 die damals geplante Fusion zwischen Deutsche Börse und NYSE Euronext wegen der markdominanten Stellung im Clearing untersagt.

Wie Brüssel dieses Mal entscheiden wird, ist offen. Die Kommission hat in den vergangenen Wochen Fragebögen an Mitbewerber und Marktteilnehmer verschickt, um sich ein besseres Bild machen zu können. Deutsche Börse und LSE argumentieren, dass die Börsenlandschaft durch den Eintritt neuer Mitbewerber sehr viel wettbewerbsintensiver als in der Vergangenheit geworden ist und sehen kaum Geschäfts-Überschneidungen bei einer Fusion.

Es besteht kein Zweifel daran, dass eine kombinierte Gruppe Deutsche Börse/LSE die mit weitem Abstand größte Börse und der größte Clearer in Europa wäre. Dies allein sei aber noch nicht entscheidend, gibt Roland Pfänder von Oddo Seydler zu bedenken. Viel hänge auch von der Definition des Clearing-Marktes durch Brüssel ab.

Sollte Brüssel das OTC-Clearing - ein Segment, in dem die LSE stark vertreten ist - und die Abwicklung standardisierter und gelisteter Derivate als einen einzigen Markt betrachten, würde dies die Chancen auf eine Genehmigung der Fusion verringern, so Pfänder. Sollten die Bereiche aber als zwei getrennte Märkte eingestuft werden, würde ein Zusammenschluss ergänzend, nicht aber überschneidend, wirken, und somit auf geringeren kartellrechtlichen Widerstand stoßen.

Fusionsgegner positionieren sich

Der Mitbewerber Euronext trommelt bereits seit geraumer Zeit gegen die Fusionspläne von Deutsche Börse und LSE. Kein Wunder, wäre doch die Marktkapitalisierung von Deutsche Börse/LSE etwa zehn Mal so groß wie die der Vierländerbörse. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung warnte Euronext-Chef Stephane Boujnah unlängst denn auch vor einem Monopol und möglichem Machtmissbrauch durch den neuen Börsengiganten.

Auch in der Politik regt sich Widerstand. Schon vor Wochen haben der belgische Finanzminister Johan Van Overtveldt wie auch sein portugiesischer Amtskollege Mario Centeno Bedenken gegen die britisch/deutsche Börsenhochzeit bei EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager angemeldet. Auch der französische Finanzminister Michel Sapin und Zentralbankchef Francois Villeroy de Galhau äußerten sich kritisch.

Die Politiker fürchten, dass die Fusion eine Liquiditätsverlagerung nach Frankfurt und London zur Folge haben könnte und sehen die Finanzstabilität gefährdet. Kleineren Unternehmen könnte der Zugang zu frischem Kapital erschwert werden. Sapin hat die europäischen und lokalen Behörden aufgefordert, den geplanten Zusammenschluss genau zu prüfen.

Fusion muss mit Auflagen noch Sinn machen

Es geht nicht nur darum, ob Brüssel die Fusion gestattet, sondern unter welchen Auflagen eine solche genehmigt wird. Sind die Auflagen zu hoch, könnte dies die Sinnhaftigkeit des Zusammenschlusses unterminieren. Seit längerem wird darüber spekuliert, dass Deutsche Börse/LSE zum Verkauf von Clearnet gezwungen werden. Die Euronext hat bereits Kaufinteresse signalisiert. Ein Verkauf von Clearnet wäre nach Einschätzung von Analysten noch verkraftbar.

Oddo Seydler schließt nicht aus, dass Brüssel auch Auflagen hinsichtlich des Hauptsitzes der neuen Holding machen wird. Nach dem Brexit-Votum der Briten ist die geplante Fusion auch zu einem Politikum geworden. Bislang ist London, das ja schon bald außerhalb der EU liegen könnte, als alleiniger Sitz der neuen Börse geplant. Es muss aber sichergestellt werden, dass die EZB auch nach einem EU-Aus Zugriff auf das Clearing habe.

Der französische Präsident Francois Hollande hat bereits gefordert, dass das Clearing von in Euro denominierten Assets zukünftig nur noch aus der Eurozone heraus möglich sein soll. Eine entsprechende Initiative der EZB war vor Jahren noch am Widerstand des Europäischen Gerichtshofs gescheitert. Nach der Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, könnte der Fall aber wieder aufgerollt werden.

Deutsche Aufsicht wird erst nach Brüssel aktiv

Die Frage des Hauptsitzes treibt auch die Bafin und das hessische Wirtschaftsministerium um, die der Fusion ebenfalls zustimmen müssen, allerdings erst nach der Entscheidung aus Brüssel. Bafin-Präsident Felix Hufeld hat klar gemacht, dass er sich einen Hauptsitz der neuen Börse außerhalb der Eurozone kaum vorstellen kann. Seitdem wird spekuliert über einen Doppelsitz London und Frankfurt oder einen Sitz in einem neutralen EU-Land wie den Niederlanden.

Klar ist, dass der Weg zur Börsenhochzeit steinig und lang werden wird. Die meisten Beobachter sind skeptisch, dass die Fusion letztlich zustande kommen wird. Die DZ Bank schätzt die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenschlusses mit weniger als 50 Prozent ein, Roland Pfänder von Oddo Seydler gerade einmal mit 30 Prozent.

DJG/mpt

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