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Schäuble und Dijsselbloem gegen "Weiter so" bei britischem EU-Verbleib

Erscheinungsdatum Website: 21.06.2016 16:40:03
Erscheinungsdatum Publikation: 22.06.2016

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BERLIN (Dow Jones)--Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem haben davor gewarnt, im Fall eines britischen Verbleibs in der Europäischen Union (EU) einfach so weiter zu machen wie bisher.

Schäuble mahnte beim Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrates in Berlin vielmehr Veränderungen in der EU an, die auch bei einem Verbleib Großbritanniens in der Gemeinschaft ergriffen werden müssten. "Auch wenn sie mit einer Mehrheit für einen Verbleib entscheiden, werden wir nicht einfach so weiter machen können", sagte Schäuble. "Sonst werden die Menschen sagen, ihr habt nicht verstanden."

Es gelte nach dem am Donnerstag stattfindenden Referendum in Großbritannien erst einmal, "überall in Europa durch flexible, pragmatische Maßnahmen die vorrangigen Probleme europäischen Lösungen zuzuführen". Europa müsse sich auf die Dinge konzentrieren, die wirklich nötig sind, "nach dem britischen Satz: first things first". Zur Not solle man dann auch erst einmal Schritte zwischen den einzelnen Regierungen und nicht auf EU-Ebene vereinbaren.

Schäuble meinte, durch das bevorstehende Referendum würden die Vorteile des EU-Binnenmarktes besonders vor Augen geführt, und Deutschland, das starken Handel mit Großbritannien treibe, profitiere besonders von ihm. "Ein Austritt Großbritanniens wäre auch für uns ein erheblicher Schaden", warnte der deutsche Finanzminister deshalb. Er mahnte dazu, die Vorteile Europas stärker in den Blick zu nehmen. "Selbstverständlich ist nichts, und es ist nichts so sicher, dass es nicht auch gefährdet werden kann", sagte er.

Schäuble mahnt zu richtiger Reihenfolge

Europa liefere derzeit "keine überzeugenden europäischen Lösungen für die Probleme, die uns auf den Nägeln brennen", monierte Schäuble. Für Deutschland sei dies besonders die Flüchtlingswelle. Die EU müsse hier Lösungen schaffen, genau wie zum Beispiel bei der inneren Sicherheit oder bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, und "leisten, was die Mitgliedsländer allein nicht leisten" könnten. "Europa muss sich auf diese zentralen Herausforderungen konzentrieren, sonst werden wir es nicht schaffen", warnte Schäuble.

Zugleich sprach er sich aber dagegen aus, Vergemeinschaftungen zum Beispiel bei der Bankenhaftung vorzunehmen, bevor Risiken abgebaut seien. Erneut lehnte er Pläne für eine europäische Einlagensicherung zum jetzigen Zeitpunkt ab. "Wir müssen die notwendige Reihenfolge einhalten", forderte Schäuble. "Wenn wir Risiko vergemeinschaften, werden wir es nicht mehr reduzieren."

Dijsselbloem forderte auf dem Wirtschaftstag für den Fall eines britischen Verbleibs in der Union eine stärkere Rolle des Vereinigten Königreichs. "Wenn die Briten für den Verbleib stimmen, würde ich sie drängen, eine stärkere Rolle zu spielen", sagte er. Die Briten seien "nicht allein mit ihrem Skeptizismus". Überall gewännen populistische Parteien an Zuspruch.

"Das allein ist kein Grund, die EU zu verlassen", mahnte der Niederländer. Es sei vielmehr ein Grund, "eine bessere EU zu bauen". Man müsse dies nun richtig hinbekommen. "Nennen Sie mich einen Optimisten, aber ich bin überzeugt, wir können das schaffen. Man müsse stärken, was erreicht worden sei. Er zeigte sich skeptisch gegenüber einer weiteren EU-Integration und riet, man solle das Vorhandene bewahren, ohne weitere Ausweitungen vorzunehmen.

Sarkozy fordert neuen europäischen Vertrag

Dijsselbloem sprach bei der Veranstaltung von einer "Zeit der Unsicherheit" und nannte explizit das Referendum über den möglichen britischen EU-Austritt. Jedoch gelte es, "nicht auf die nächste Krise" zu warten. "Wir sollten uns die Fundamentaldaten ansehen und versuchen, diese zu verbessern", forderte der niederländische Finanzminister.

"Trotz weltweiten Gegenwinds ist unser Wirtschaftswachstum breit basiert und verbessert sich Jahr für Jahr", hob er hervor. Jedoch müsse die Widerstandsfähigkeit der EU gegen Krisen verbessert werden. Dijsselbloem forderte aber auch "Realismus" bei der Beurteilung der Konjunkturaussichten. "Lasst uns realistisch sein, vielleicht müssen wir auch unsere Erwartungen neu aufsetzen." Europa sei ein alternder Kontinent, und das Wachstum werde niedriger sein. "Die Wachstumsniveaus, die wir vor der Krise gekannt haben, werden nicht zurückkehren."

Frankreichs früherer Staatspräsident Nicolas Sarkozy forderte bei der Konferenz, Europa müsse auf die momentanen Probleme mit einem "neuen Vertrag" reagieren, den Berlin und Paris ausarbeiten sollten. "Frankreich und Deutschland müssen einen Plan auf den Tisch legen, und zwar einen neuen europäischen Vertrag", sagte er. Dies habe er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Mittagessen am Dienstag vor der Veranstaltung gesagt. "Ich glaube, dass die Kanzlerin dafür bereit ist", sagte Sarkozy, der demonstrativ die Bedeutung des Duos "Merkozy" aus Merkel und ihm selbst hervorhob.

"Wir müssen das europäische Projekt neu begründen", verlangte der Franzose. Mit 28 Ländern gehe die EU genau so vor als wären es noch sechs. "Wir tun, als könnten wir immer so weiter machen, aber das kann nicht sein." Sollten die Briten für ein Verlassen der EU stimmen, müsse man "eine Initiative ergreifen, um den Schaden wieder gut zu machen".

Der Wirtschaftsrats-Vorsitzende Werner Bahlsen mahnte eine Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen an, nachdem der Stabilitätspakt verletzt worden sei. "Zu soliden Staatsfinanzen gehört auch, dass Handlungen und Haftung wieder zusammengeführt werden", hob er hervor. Der Unternehmer forderte eine "geregelte Austrittsmöglichkeit aus dem Euro", denn nicht alle Länder würden die hohen Ansprüche erfüllen können. "Es ist dringend nötig, dass wir wieder in einen Gestaltungsmodus kommen", verlangte Bahlsen.

DJG/ank/jhe

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