Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Bundesbank-Präsident sieht Doppelrolle der EU-Kommission kritisch

Erscheinungsdatum Website: 17.05.2016 17:35:03
Erscheinungsdatum Publikation: 18.05.2016

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FRANKFURT (Dow Jones)--Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat die Doppelrolle der Europäischen Kommission als Hüterin der EU-Verträge und politische Institution ebenso kritisiert wie den nachlassenden Reformeifer in Europa. Kurz vor der Entscheidung der EU-Kommission, womöglich erstmals ein Sanktionsverfahren gegen die Defizitsünder Spanien und Portugal einzuleiten, forderte Weidmann in einem Zeitungsinterview eine klare Anwendung der europäischen Regeln.

"Maßnahmen, die dazu führen, dass sich die Mitglieder der Währungsunion wieder stärker an die Regeln halten, wären ein Fortschritt", sagte Weidmann in einem Gespräch mit der europäischen Zeitungsallianz LENA, der auch die Tageszeitung Die Welt angehört. Gegenwärtig seien die Verfahren so komplex und intransparent, dass niemand ohne weiteres sagen könne, ob sich ein Land an die Regeln halte oder nicht. Die gemeinsamen Regeln müssten klar und nachvollziehbar sein, denn nur dann könnten sie eingehalten und kontrolliert werden, so Weidmann.

Derzeit drohen Spanien und Portugal EU-Sanktionen wegen überhöhter Staatsdefizite. Es wäre der erste Schritt dieser Art. Ein solches Vorgehen gilt insbesondere angesichts der im Juni bevorstehenden Neuwahlen in Spanien als politisch heikel; auch innerhalb der EU-Kommission gibt es daher Bedenken.

Skeptisch sieht der Bundesbank-Präsident in diesem Zusammenhang die Doppelrolle der EU-Kommission als Hüterin der EU-Verträge und politische Institution. Die daraus folgenden Kompromisse gingen leider häufig zu Lasten der Haushaltsdisziplin, sagte Weidmann. Wie zuvor Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach sich Weidmann daher für eine unabhängige Institution aus, um die ökonomische Analyse von politischen Entscheidungen zu trennen.

Forderungen nach einer erweiterten Gemeinschaftshaftung in Europa, wie sie zuletzt die italienische Regierung ins Spiel gebracht hatte, wies Weidmann zurück. "Solange wesentliche Politikbereiche weiter national bestimmt werden, halte ich eine zunehmende Gemeinschaftshaftung für falsch. Hier gehen die Auffassungen offensichtlich auseinander", sagte er. Bei der mittelfristigen Haushaltspolitik sei "Italien für Europa kein Vorbild".

Weidmann prangerte zudem den mangelnden Reformeifer und die nachlassende Haushaltsdisziplin in Europa an. "Unsere Aufgabe ist es nicht, Zeit zu kaufen", sagte Weidmann mit Blick auf die Erwartungen an die Geldpolitik. Zudem könne der EZB-Rat seine Geldpolitik nicht danach ausrichten, wer davon politisch profitieren könnte. "Der EZB-Rat kann darauf keine Rücksicht nehmen, denn das würde die Geldpolitik politisieren und ihre Unabhängigkeit untergraben." Weidmann konterte damit auch den Vorwurf, die Geldpolitik der EZB habe den Aufstieg der AfD in Deutschland begünstigt.

Scharfe Kritik übte der Bundesbank-Präsident an den Gedankenspielen zum sogenannten Helikoptergeld, also die direkte Verteilung von Geld unter Wirtschaftsakteuren ohne Vorleistung, und damit eine besonders radikale Lockerungsmethode: "Wir sind kein Forschungsinstitut, das ohne Folgen akademische Diskussionen über abwegige Ideen führen kann". Stattdessen warb er dafür, "das Beschlossene wirken lassen und nicht schon wieder über weitere Maßnahmen zu spekulieren." "Dass die Geldpolitik im derzeitigen Umfeld expansiv ausgerichtet sein muss, darüber sind wir uns im EZB-Rat einig", fügte Weidmann hinzu.

DJG/brb/kla

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