Euro Intern

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Schäuble wehrt trotz Mehreinnahmen Ausgabenwünsche ab

Erscheinungsdatum Website: 06.05.2016 10:25:03
Erscheinungsdatum Publikation: 09.05.2016

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BERLIN (Dow Jones)--Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat trotz erwarteter deutlicher Steuermehreinnahmen zusätzliche Ausgabenwünsche zurückgewiesen. Das Geld werde gebraucht, um auch künftig unerwartete Ereignisse wie den Flüchtlingszustrom bewältigen zu können, sagte Schäuble bei einer Pressekonferenz zur jüngsten Steuerschätzung in Berlin.

Der Finanzminister und seine Amtskollegen in den Ländern können von 2016 bis 2020 insgesamt mit 42,4 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen rechnen als bisher erwartet, veranschlagt der Arbeitskreis Steuerschätzung, der drei Tage lang die neuen Zahlen in Essen berechnet hat. In diesem Jahr sollen die Mehreinnahmen in den Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden bei 5,0 Milliarden Euro liegen und im nächsten bei 6,3 Milliarden.

Nach der Kalkulation der Experten soll es von Jahr zu Jahr stärkere Mehreinnahmen geben als noch bei der vorangegangenen Schätzung im November erwartet: Nach einem Plus von 8,4 Milliarden im Jahr 2018, eines von 10,2 Milliarden 2019 und dann 12,5 Milliarden Euro im Jahr 2020. Dem Bund allein winken dieses Jahr zusätzliche Steuereinnahmen von 2,0 Milliarden Euro, und im nächsten Jahr sollen es dann 2,5 Milliarden mehr sein als ursprünglich angenommen.

In dem Ergebnis der Schätzer spiegelt sich nach Angaben des Finanzministeriums "die nach wie vor günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wider". Die Entwicklung des Arbeitsmarktes sei weiterhin erfreulich, und davon profitierten Unternehmen und private Haushalte durch steigende Einkommen und Gewinne. Die Inlandsnachfrage sei robust und die tragende Säule des Wachstums. "Wir haben eine ordentliche wirtschaftliche Entwicklung", konstatierte Schäuble. "Bund, Länder und Gemeinden sind finanziell gut aufgestellt."

Schäuble sieht keinen Spielraum

Der Finanzminister wies aber bei der Vorstellung der neuen Zahlen Forderungen nach Mehrausgaben zurück. "Die Steuerschätzung bestärkt uns darin, dass wir die aktuell großen Herausforderungen ohne neue Schulden bewältigen können", sagte er. "Zusätzliche Spielräume für Ausgabenwünsche ergeben sich für den Bund aus der Steuerschätzung nicht."

Auch in Zukunft werde ein "handlungsfähiger Staat" gebraucht, der auf unerwartete Ereignisse angemessen reagieren könne, mahnte Schäuble. Alle staatlichen Ebenen könnten zwar nun mit guten Steuereinnahmen rechnen, sie stünden aber auch "unter außergewöhnlichen Anforderungen" wegen des Flüchtlingsstroms. Zudem hätten Bund und Länder auch die laufende Tarifrunde zu bewältigen.

Insgesamt sollen die Steuereinnahmen nach der neuen Berechnung 2016 gegenüber dem Vorjahr um 2,7 Prozent auf 691,2 Milliarden Euro und 2017 um 4,7 Prozent auf dann 723,9 Milliarden Euro zunehmen. Im November hatten die Schätzer noch mit Einnahmen von 686,2 Milliarden Euro (plus 2,2 Prozent) in diesem und 717,6 Milliarden Euro im kommenden Jahr gerechnet. Für die nachfolgenden Jahre veranschlagen die Experten jährliche Zuwächse zwischen 3,6 und 4,0 Prozent. Im Jahr 2020 sollen die Einnahmen nach ihrer Kalkulation bei 808,1 Milliarden Euro liegen.

Aus dem Kreis der Steuerschätzer und von anderen Volkswirten waren für 2016 bereits im Vorfeld Mehreinnahmen angekündigt worden. Sie waren mit der günstigen Konjunkturentwicklung und besonders mit der stark binnenwirtschaftlich geprägten Struktur des momentanen Wachstums begründet worden. Bereits die jüngsten Steuerdaten aus dem Finanzministerium hatten die Erwartung höherer Steuereinnahmen gestützt, denn in den ersten drei Monaten stiegen sie insgesamt um 5,4 Prozent auf 154,9 Milliarden Euro.

Bund der Steuerzahler will Entlastung

Für Bund und Länder kommen die prognostizierten Steuermehreinnahmen angesichts zunehmender Kosten für die Bewältigung der Flüchtlingswelle zur rechten Zeit. Die Länder fordern deutlich mehr Geld vom Bund, konnten sich jedoch mit diesem bei einem Spitzentreffen Ende April nicht über die Finanzierung der Flüchtlingskosten einigen. Dies soll nun bis Ende Mai geschehen. Die Länder-Ministerpräsidenten wollen, dass sich der Bund zur Hälfte an den Gesamtkosten für Flüchtlinge von rund 20 Milliarden Euro beteiligt - was der bisher aber nicht zugesagt hat.

Der Deutsche Städtetag pochte angesichts der steigenden Steuereinnahmen aber auf eine Entlastung der Kommunen. "Damit wir die Herkulesaufgabe der Integration meistern können, müssen Bund und Länder die Kommunen massiv bei der Flüchtlingsintegration unterstützen", sagte Städtetags-Präsidentin Eva Lohse. Gerade finanzschwache Kommunen könnten es sich nicht leisten, auf die jetzt notwendigen zusätzlichen Mittel zu warten. "Sie brauchen eine schnelle Entlastung," forderte Lohse.

Der Bund der Steuerzahler verlangte hingegen eine Entlastung der Bundesbürger. Die Politik dürfe die Zahlen nicht zum Anlass nehmen, "jetzt noch mehr Geld in Ausgabenprogramme zu stecken und somit die öffentlichen Haushalte zu belasten", sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel. "Zugleich ist es an der Zeit, einen Teil der Steuermehreinnahmen den Bürgern zurückzugeben." Ein wesentliches Signal wäre nach seiner Forderung eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags. "Die sprudelnden Steuerquellen machen dies problemlos möglich", betonte Holznagel.

Wirtschaft fordert Investitionen

Die Grünen verlangten von Schäuble angesichts der zusätzlichen Einnahmen einen Nachtragshaushalt. "Der Bundestag muss mitreden, wohin die Steuermehreinnahmen fließen", erklärten Fraktionsvize Kerstin Andreae und Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler. "Wir fordern Finanzminister Schäuble auf, einen Nachtragshaushalt für 2016 vorzulegen." Nötig sei eine Investitionsoffensive in Integration, Bildung und Betreuung und in den sozialen Wohnungsbau.

Die Wirtschaft rief die Regierung dazu auf, mit den Mehreinnahmen eine bestehende "Investitionsbremse" zu lösen. "Die Bundesregierung muss mit dem zusätzlichen Geld jetzt die richtigen Weichen stellen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. Die enormen Mehreinnahmen von 42 Milliarden Euro müsse sie für dringende Investitionen in Bildung, Verkehrsinfrastruktur und Breitbandausbau verwenden und die Bedingungen für private Investitionen verbessern, forderte er.

Der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, warnte hingegen vor immer neuen Ausgaben. "Bei den derzeit sehr hohen Steuereinnahmen besteht die Gefahr, dass immer mehr Geld für zweifelhafte Zwecke wie etwa Kaufprämien für Elektrofahrzeuge ausgegeben wird und kritische Überprüfung bestehender Ausgaben ausbleibt", sagte er. Die Politik solle aber das Problem der kalten Progression angehen und einen "Steuertarif auf Rädern" einführen, der verhindere, dass durch Inflation und reales Wachstum immer mehr Steuerzahler in höhere Progressionsbereiche kämen.

Um die Einnahmen weiter zu erhöhen, haben die Ökonomen des Düsseldorfer Konjunkturforschungsinstituts IMK zudem ein Alternativmodell für die in der Koalition umstrittene Reform der Erbschaftsteuer ins Spiel gebracht. Anders als in Schäubles Gesetzentwurf geplant, soll demnach auch Unternehmenserben ohne ausreichendes Privatvermögen die Steuer nicht komplett erlassen, sondern nur über 15 Jahre gestundet werden. Ohne dass Arbeitsplätze gefährdet würden, könnte so nach den Annahmen des IMK "das Aufkommen der Erbschaftsteuer langfristig problemlos verdoppelt werden".

DJG/ank/mgo/09.05.2016

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