Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Institute revidieren BIP-Prognose für 2023 kräftig abwärts
Erscheinungsdatum Website: 28.09.2023 16:20:02
Erscheinungsdatum Publikation: 29.09.2023
BERLIN (Dow Jones)--Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sehen Deutschland in der Rezession, erwarten aber zum Jahresende ein Ende des Abschwungs. Bei einer Pressekonferenz lehnten die Ökonomen angesichts der sich abzeichnenden Erholung konjunkturstützende Maßnahmen rigoros ab. Auch Forderungen nach einem Industriestrompreis wiesen sie zurück. Zudem übten die Ökonomen deutliche Kritik am Management der Energiewende durch die Regierung. In ihrem Herbstgutachten prognostizierten die Institute für 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,6 Prozent. Für 2024 erwarteten sie ein Wachstum von 1,3 Prozent und für 2025 von 1,5 Prozent.
Damit wird die Prognose vom Frühjahr für 2023 kräftig um 0,9 Prozentpunkte nach unten revidiert. "Der wichtigste Grund dafür ist, dass sich die Industrie und der private Konsum langsamer erholen, als wir im Frühjahr erwartet haben", sagte der Vizepräsident des federführenden Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller. Deutschland befinde sich seit über einem Jahr im Abschwung. Allerdings hätten mittlerweile die Löhne aufgrund der Teuerung angezogen, die Energiepreise abgenommen und die Exporteure die höheren Kosten teilweise weitergegeben, sodass Kaufkraft zurückkehre.
"Daher dürfte der Abschwung zum Jahresende abklingen und der Auslastungsgrad der Wirtschaft im weiteren Verlauf wieder steigen", erwarteten die Institute. Deshalb wären konjunkturstützende Maßnahmen auch kontraproduktiv, und im Zuge der Krise ergriffene Maßnahmen sollten auslaufen. So spreche "aus konjunktureller Sicht nichts dafür", die Gas- und Strompreisbremse zu verlängern, sagte der Konjunkturchef des RWI - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Torsten Schmidt. Dasselbe gelte auch für die Mehrwertsteuersenkung im Gastgewerbe. Angesichts anziehender Nachfrage bestehe "kein Grund, diesen Bereich noch zusätzlich zu suvbentionieren".
Schlechtes Management der Energiewende
Die Ökonomen betonten, die Konjunktur könnte sich besser als erwartet entwickeln, falls die Inflation rascher zurückginge und die Leitzinsen früher als erwartet wieder gesenkt würden. Dem ständen jedoch erhebliche Abwärtsrisiken gegenüber - etwa, dass die Energiepreise erneut erheblich stiegen. In diesem Fall könnte sich der Abschwung verschärfen und verlängern. "Auch sorgt das politische Management der Energiewende für große Unsicherheit", monierten die Institute. Sie kritisierten "kleinteilige Eingriffe in die Entscheidungen der Unternehmen und Haushalte" und forderten stattdessen einen einheitlichen CO2-Preis über alle Sektoren.
Zu einem Industriestrompreis warnten die Volkswirte, durch die Verringerung des Strompreises für eine Gruppe von Unternehmen werde deren Stromnachfrage steigen und so der Strom für alle übrigen Nachfrager teurer. "Wirtschaftspolitisch ist diese Subvention problematisch, da sie wettbewerbsverzerrend wirkt", betonten sie. "Das ist kein geeignetes Instrument", sagte Holtemöller. Da die Stromproduktion in Deutschland dauerhaft teurer bleiben dürfte als in anderen Ländern, würde der notwendige Strukturwandel aufgehalten.
Es werde wahrscheinlich auf absehbare Zeit so sein, dass andernorts Strom aus erneuerbaren Energien billiger produziert werde als in Deutschland. "Insofern wird es wahrscheinlich auf Dauer nicht vermeidbar sein, dass gewisse energieintensive Produktionen aus Deutschland verlagert werden", sagte der IWH-Vizepräsident. "Das ist aber kein Weltuntergang, weil man dementsprechend andere Aktivitäten entfalten kann." Darauf müsse man sich aber vorbereiten und diesen Strukturwandel zulassen. Wolle man die CO2-Reduktionsziele erreichen, werde dies "damit einhergehen müssen, dass wir unsere Produktionsweise umbauen".
Zinssenkung der EZB ab Herbst möglich
Die Institute sahen zudem den Zinsgipfel im Euroraum erreicht und gingen davon aus, "dass die Leitzinsen aufgrund nur langsam sinkender Kerninflationsraten bis zum Sommer 2024 unverändert bleiben". Sie erwarteten, "dass die EZB die Zinsen nicht mehr anheben wird", machte IWH-Ökonom Axel Lindner klar. "Im Herbst 2024, können wir uns vorstellen, werden dann die ersten Zinssenkungen kommen." Bei den Preisen entspanne sich die Lage nach und nach. Die Inflationsrate dürfte im Jahr 2023 bei 6,1 Prozent liegen und auf 2,6 Prozent im Jahr 2024 und 1,9 Prozent im Jahr 2025 zurückgehen.
Der private Konsum dürfte im dritten Quartal nach Einschätzung der Institute wohl etwas gestiegen sein. Im weiteren Prognosezeitraum dürfte sich die Erholung mit anziehenden real verfügbaren Einkommen beschleunigen. Insgesamt rechneten sie wegen eines schwachen Starts in das Jahr für 2023 mit einem Rückgang des privaten Konsums um 0,5 Prozent. Im Jahr 2024 dürfte er um 2,0 Prozent zulegen und im Jahr 2025 um 1,3 Prozent. Für die Ausrüstungsinvestitionen wird ein Anstieg um 2,8 Prozent in diesem, 1,4 Prozent im kommenden und 3,4 Prozent im übernächsten Jahr erwartet, womit im Jahresverlauf 2024 das Vor-Pandemie-Niveau erreicht wäre.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bekräftigte in einer ersten Reaktion Forderungen nach einer Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit. "Die Prognosen zeigen: Deutschland braucht eine Wirtschaftswende", erklärte er über den Kurznachrichtendienst "X", vormals Twitter. "Also alles unterlassen, was Wachstum bremst, und alles unternehmen, was Wachstum stärkt. Maßnahmen wie das Wachstumschancengesetz sind auf dem Weg, andere wie eine Bürokratiepause müssen folgen."
DJG/ank/apo