Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Commerzbank: US-Arbeitsmarkt verliert dauerhaft Teilnehmer

Erscheinungsdatum Website: 29.11.2021 17:25:02
Erscheinungsdatum Publikation: 30.11.2021

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FRANKFURT (Dow Jones)--Die Commerzbank-Volkswirte Bernd Weidensteiner und Christoph Balz halten den Rückgang der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung in den USA für ein längerfristiges Phänomen. In einem Kommentar weisen sie darauf hin, dass die hierfür ursächlichen Gründe dauerhafter Natur sein dürften. Für die US-Notenbank erhöht das den Druck, ihre Geldpolitik zu straffen, weil ein sinkendes Arbeitsangebot Löhne und Inflation erhöht.

Derzeit sind in den USA laut Commerzbank mehr als 10 Millionen Stellen unbesetzt, sodass rechnerisch auf jeden Arbeitslosen 1,36 offene Positionen entfallen. Gleichzeitig kündigen so viele Amerikaner wie noch nie ihre Jobs. Die Löhne steigen kräftig, insbesondere für die unteren Lohngruppen. "Und dennoch lag die Zahl der Erwerbspersonen (Beschäftigte und Arbeitslose, das heißt aktiv Arbeit suchende Personen) im Oktober um 3 Millionen unter dem Vorkrisenwert vom Februar 2020 - und das, obwohl die Bevölkerung über 16 Jahren in dieser Zeit um 2,3 Millionen zugenommen hat", geben Weidensteiner und Balz zu bedenken.

Die Partizipationsquote, also der Bevölkerungsanteil der Erwerbspersonen, lag zuletzt mit 61,6 Prozent immer noch deutlich unter den im Februar 2020 erreichten 63,3 Prozent, und seit Mitte 2020 hat es hier auch keinen Anstieg gegeben. "Wäre die Partizipation noch auf dem Wert vom Februar 2020, stünden dem Arbeitsmarkt 4,4 Millionen Erwerbspersonen mehr zur Verfügung", schreiben die Commerzbank-Analysten.

Folgende Gründe sehen die Analysten für die sinkende Erwerbsbeteiligung:

1. Die Partizipationsquote nimmt generell mit zunehmendem Alter ab. Während die Altersgruppe von 25 bis 54 Jahren eine Partizipationsquote von rund 82 Prozent hat, geht sie bei den 55- bis 59-jährigen auf 72 Prozent zurück und bei den 60- bis 64-jährigen auf 57 Prozent. "Wenn der Bevölkerungsanteil der höheren Altersgruppen zunimmt, fällt somit die gesamte Partizipationsquote, auch wenn die Quoten in jeder Altersgruppe konstant bleiben", erläutern die Analysten. Dieser Effekt drücke derzeit angesichts der demographischen Entwicklung für sich genommen die Partizipationsquote jedes Jahr um gut 1/4 Prozentpunkt und erkläre damit ein knappes Drittel des Rückgangs der Partizipationsquote.

2. Es scheint wegen Corona strukturelle Änderungen zu geben, die die Erwerbsbeteiligung zusätzlich drücken. Weidensteiner und Balz weisen darauf hin, dass das Arbeitsministerium im Oktober 2020 einen Anstieg der Beschäftigung von 163,5 Millionen 2019 auf 167,5 Millionen 2024 prognostiziert hatte. Im Oktober 2021 verschob sich der Projektionspfad um 2,3 Millionen nach unten, die dabei unterstellte Erholung der Zahl der Erwerbspersonen sei aber bisher ausgeblieben, sodass auch dieser Pfad gegenwärtig zu optimistisch erscheine.

3. Ein Teil des Rückgangs der Partizipationsquote 2020 ist laut Commerzbank darauf zurückzuführen, dass sich mehr Personen als üblich in den Ruhestand zurückgezogen haben. So hat die Dallas Fed in einer Studie festgestellt, dass der Anteil der im Ruhestand befindlichen Personen zu Beginn der Pandemie sprunghaft stieg und danach im üblichen Tempo weiter kletterte. "Damit sind nach Schätzungen der Forscher 1,5 Millionen Personen zusätzlich in den Ruhestand gewechselt", so Weidensteiner und Balz. Ob sie nach der Pandemie wieder an den Arbeitsmarkt zurückkehrten, hänge von vielen Faktoren ab, wie der dann herrschenden Wirtschaftslage. "Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass Personen ihren Ruhestand aufgeben, normalerweise eher gering."

4. Darüber hinaus nehmen derzeit auch Personen im besten Erwerbsalter zwischen 25 und 54 Jahren trotz der Erholung des Arbeitsmarkts in geringerem Umfang am Arbeitsleben teil als vor der Pandemie. Die Gründe für die geringere Beteiligung dieser sogenannten "Prime Group" sind nicht ganz klar. "Bei den jüngeren Mitgliedern dieser Bevölkerungsgruppe könnten die Schwierigkeiten der Kinderbetreuung in Pandemiezeiten eine Rolle spielen und die Wiederaufnahme der Arbeit zumindest verzögern", meinen die Commerzbank-Volkswirte.

Zudem sehen sie weitere Anzeichen dafür, dass sich die Erwerbsbeteiligung nicht mehr bedeutend erholen wird. So sei die "stille Reserve" von Arbeitnehmern, die ungewollt in Teilzeit arbeiteten, zuletzt nur noch so hoch wie vor Corona gewesen.

Laut Weidensteiner und Balz ändert die "Flucht" der Amerikaner vom Arbeitsmarkt das Kalkül der Fed. "Lange Zeit sahen die Währungshüter kein Problem darin, ihre expansive Politik beizubehalten, bis auch die lange Zeit benachteiligten Bevölkerungsschichten integrieren werden konnten", schreiben sie. Gegen ein Heißlaufen habe die Existenz ausreichender Reserven geholfen, die sich aber offenbar stark verringert hätten. Daher laufe diese Politik Gefahr, Löhne und Inflation zu stark nach oben zu treiben.

"Wir gehen daher davon aus, dass die Fed bereits Mitte 2022 erstmals die Leitzinsen erhöht und die Obergrenze des Zielkorridors für die Federal Funds bis Ende 2023 auf 2,0 Prozent nach oben schraubt", prognostizieren Weidensteiner und Balz.

DJG/hab/apo

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