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Chef des Rechnungshofes sieht Bundesfinanzen in kritischem Zustand

Erscheinungsdatum Website: 12.11.2021 18:55:02
Erscheinungsdatum Publikation: 15.11.2021

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BONN (Dow Jones)--Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, hat in einem Bericht an den Bundestag den Zustand der Bundesfinanzen als "kritisch" bezeichnet und das Setzen von Prioritäten unter Einhaltung der Schuldenbremse gefordert. "Nur mit einem soliden Bundeshaushalt kann es gelingen, die anstehenden Zukunftsaufgaben nachhaltig und generationengerecht zu meistern", schrieb Scheller in dem Bericht in seiner Eigenschaft als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. "Die Bundesfinanzen befinden sich in einem kritischen Zustand." Tragfähige Finanzen seien die Grundlage eines handlungsfähigen Staates.

"Notwendig sind jetzt eine ehrliche Bestandsaufnahme, wirksame Strukturreformen und eine entschlossene Prioritätensetzung", forderte der Präsident des Rechnungshofes. "Denn es ist nicht Geld für alles da." Die staatliche Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, könne "dabei nur mit, nicht gegen die Schuldenregel gelingen". Denn sie zwinge die Politik zu priorisieren. "Eine Aufweichung oder gar Abschaffung der Schuldenregel wäre der falsche Weg und eine Kapitulation vor den Problemen, ohne Lösungen überhaupt diskutiert zu haben", warnte Scheller. Diese lägen nicht in intransparenten Nebenhaushalten wie Fonds, Zweckgesellschaften oder anderen Konstruktionen, sondern "in einem beherzten und klaren Konsolidierungskurs".

Der Bund bekämpfe die Corona-Pandemie mit einer expansiven Haushaltspolitik von historischem Ausmaß. Der Schuldenberg drohe bis Ende 2022 auf nahezu 1,5 Billionen Euro anzusteigen - um 50 Prozent gegenüber Vorkrisenniveau. Der Bund habe "seinen finanziellen Spielraum damit ausgereizt". Abwarten und Hoffen auf bessere ökonomische Zeiten reichten nicht aus, um die finanzielle Tragfähigkeit wiederherzustellen. "Eine Konsolidierung zum Nulltarif wie nach der Finanz- und Wirtschaftskrise wird sich nicht wiederholen", erklärte Scheller. Auch die Einnahmeerwartungen der laufenden Steuerschätzung würden nicht ausreichen, um bestehende Finanzierungslücken zu schließen.

Vielmehr sehe sich der Bund einer Fülle von finanzwirtschaftlichen Problemen und Herausforderungen ausgesetzt, für die bislang keine Lösungskonzepte vorlägen. Dazu gehörten die wirkungsvolle Bekämpfung des Klimawandels, weitere zukunftsrelevante Aufgaben wie Digitalisierung und Bildung sowie die Modernisierung der Infrastruktur, die Alterung der Gesellschaft, die europäischen und internationalen Verpflichtungen und eine Zinsänderungsgefahr mit steigenden Zinslasten für den Bund, wenn die derzeit immer noch historisch niedrigen Zinsen zum Beispiel wegen der Inflation angepasst werden müssten.

"Die Lage ist ernst. Um die Bundesfinanzen wieder tragfähig zu machen, muss eine neue Bundesregierung jetzt handeln und den Bundeshaushalt rechtlich unangreifbar gestalten", mahnte Scheller. Dazu empfahl er unter anderem, wichtige Zukunftsfelder wie Klimaschutz, Energiewende, Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung und Forschung sowie die zentralen Bundesaufgaben innere und äußere Sicherheit und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen. Nötig seien auch eine "mutige Aufgabenkritik" mit dem Ziel der Konzentration auf die drängendsten verfassungsrechtlichen Kernaufgaben des Bundes und eine konsequente Entflechtung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.

Scheller forderte zudem eine Erfolgskontrolle für Förderprogramme, ein Ausgabenmoratorium, das für jede neue Maßnahme grundsätzlich die Gegenfinanzierung durch das Beenden anderer Maßnahmen sicherstelle, und eine Verbesserung der Einnahmenbasis durch den Abbau klimaschädlicher oder unwirksamer steuerlicher Subventionen und Vergünstigungen sowie eine konsequentere und erfolgreichere Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung.

DJG/ank/apo/15.11.2021

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