Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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IfW: Streben nach wirtschaftlicher Autonomie würde für EU-Länder teuer

Erscheinungsdatum Website: 30.07.2021 17:00:02
Erscheinungsdatum Publikation: 02.08.2021

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KIEL (Dow Jones)--Versorgungsengpässe infolge der Corona-Krise haben in der EU die Diskussion über eine stärkere wirtschaftliche Eigenständigkeit und die Rückverlagerung der Produktion befeuert. Ein Abkoppeln der EU von internationalen Lieferketten oder auch nur von China würde die EU-Staaten jedoch hunderte Milliarden Euro kosten, zeigen Simulationsrechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), wie das Institut in Kiel mitteilte.

Würde die EU einseitig die Handelsbarrieren - abseits von neuen Zöllen - verdoppeln, um sich vom Rest der Welt zu entkoppeln, würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jedes Jahr verglichen zum Basisjahr 2019 preisbereinigt rund 580 Milliarden Euro oder 3,5 Prozent geringer ausfallen als ohne die Eingriffe, rechnet das IfW vor. Würden sich Europas Handelspartner wehren und im Gegenzug vergleichbare Maßnahmen einleiten, wüchse der Verlust nach den Berechnungen auf rund 870 Milliarden Euro oder 5,3 Prozent des BIP.

Ein Abkoppeln der EU sei besonders mit Blick auf den strategischen Rivalen China in der Diskussion. Würde die EU einseitig entsprechende Handelsbarrieren gegenüber China verdoppeln, würde das 130 Milliarden Euro (0,8 Prozent des BIP) kosten - bei vergleichbaren Gegenmaßnahmen Chinas wüchsen die Kosten auf 170 Milliarden Euro (1 Prozent des BIP). "Würde sich die EU auch nur teilweise von internationalen Liefernetzen abkoppeln, würde das den Lebensstandard der Menschen sowohl in der EU als auch bei ihren Handelspartnern deutlich verschlechtern. Neue Handelsbarrieren sollten deshalb unbedingt vermieden werden", sagte Alexander Sandkamp, einer der Studienautoren.

Deutschland wäre als international wirtschaftlich besonders stark vernetztes Land härter als viele andere EU-Länder betroffen: Rund ein Fünftel der Kosten der gesamten EU würde Deutschland tragen, sofern sich die EU einseitig vom Ausland entkoppelt - das entspricht rund 115 Milliarden Euro oder 3,3 Prozent des deutschen BIP. Bei einer einseitigen Entkoppelung von China trüge Deutschland sogar rund ein Viertel der Lasten (32 Milliarden Euro oder 0,9 Prozent des BIP). Ein eskalierender Handelskrieg mit China könnte diese Kosten noch einmal um 50 Prozent steigen lassen.

Trotz Kritik an neuen Handelshürden sahen die Autoren der Studie Handlungsbedarf, um die Wirtschaft der EU gegen Krisen im internationalen Warenverkehr widerstandsfähiger zu machen. Besser als eine Abkoppelung von internationalen Lieferketten wäre es allerdings aus ihrer Sicht, zum Beispiel das Lieferantennetz breiter aufzustellen, Recycling zu fördern und die Lagerhaltung zu verbessern. Isolation sei der falsche Weg.

DJG/ank/hab

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