Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Kabinett beschließt Lieferkettengesetz für große Unternehmen

Erscheinungsdatum Website: 03.03.2021 14:50:02
Erscheinungsdatum Publikation: 04.03.2021

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BERLIN (Dow Jones)--Nach zähen Verhandlungen in der Koalition hat das Bundeskabinett das Lieferkettengesetz beschlossen. Mit dem Schritt soll sichergestellt werden, dass schlimmste Formen von Ausbeutung, Kinder- und Sklavenarbeit im Handel mit Schwellen- und Entwicklungsländern ausgeschlossen werden. "Ab heute ist klar: Hohe Standards gelten nicht nur an deutschen Werkbänken und in deutschen Fabriken", erklärte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. "Mit dem Lieferkettengesetz schützen wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ausbeutung entlang der weit verzweigten Lieferketten."

Es verpflichtet ab 2023 Konzerne mit mindestens 3.000 Beschäftigten und ab 2024 Betriebe mit mindestens 1.000 Mitarbeitern zu strengeren Sorgfaltspflichten. Das würde schätzungsweise rund 2.500 Unternehmen betreffen. Sie müssen Menschenrechtsverletzungen bei ihren direkten Zulieferern ausschließen und für die weitere Lieferkette auch einen Beschwerdemechanismus einrichten. Während die Industrie vor Wettbewerbsverzerrungen warnte, kritisierten Aktivisten das Gesetz als nicht wirksam genug.

Geldbußen bis 2 Prozent des Jahresumsatzes

Verstöße sollen laut Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit Geldbußen geahndet werden. Bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro sind bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes möglich. Für die Kontrolle soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) zuständig sein. Auch Zwangsgelder in Höhe von 50.000 Euro können hinzukommen.

Eine zivilrechtliche Haftung ist - anders als zunächst von Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) geplant - darin nicht vorgesehen. Allerdings sollen auch deutsche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen im Namen der Opfer vor deutschen Gerichten klagen können.

Die Koalition hatte sich auf das Gesetz geeinigt, nachdem jahrelang eine freiwillige Lösung in der Industrie gescheitert war. Im vergangenen Jahr hatte eine Umfrage des Auswärtigen Amtes (AA) ergeben, dass nur 13 bis 17 Prozent der Unternehmen den Nationalen Aktionsplan Menschenrechte erfüllen, der die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzt.

Arbeitsminister Heil erklärte, der jetzige Vorstoß sei "das ambitionierteste Gesetz, das es bislang in Europa gibt" und schaffe "Rückenwind auch für eine europäische Lösung". Ein ähnliches Gesetz in Frankreich umfasst bislang Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern, während Vorschriften in den Niederlanden und Großbritannien vor allem Kinder- und Sklavenarbeit ausschließen sollen.

EU-Kommission will eigenes Gesetz bis Juni vorlegen

Auch die EU-Kommission will bis Juni dieses Jahres ein eigenes Sorgfaltspflichtengesetz vorlegen. Justizkommissar Didier Reynders lobte den Vorstoß der Bundesregierung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und betonte, das EU-Gesetz könne sogar noch weiter gehen. "Wir wollen weit gehen, weit die Lieferkette herunter und weit, was die Zahl der betroffenen Unternehmen betrifft." Überlegt würden nicht nur Geldbußen, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen.

Der Maschinenbau-Verband VDMA bezeichnete das jetzt vorgelegte Gesetz dagegen als einen "weitreichenden Eingriff in den Mittelstand" und forderte Nachbesserungen. "Vor allem die angedrohten Sanktionen sind völlig überzogen", erklärte VDMA-Präsident Karl Haeusgen. "Die Bußgelder könnten im Einzelfall sogar für Unternehmen den Ruin bedeuten." Er verwies auf einen Passus im Gesetz, wonach Geldbußen möglich sind, wenn die Unternehmen die geforderte Risikoanalyse ihrer Lieferketten "zu niedrig" oder "nicht vollständig" durchgeführt haben.

Chemie fürchtet zivilrechtliche Haftung "durch die Hintertür"

Die Chemieindustrie warnte, dass eine zivilrechtliche Haftung trotzdem noch "durch die Hintertür" eingeführt werden könne. "Hier muss der Text geschärft werden", erklärten der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und dem Verband der Chemischen Industrie (VCI). "Juristische Winkelzüge dürfen nicht genutzt werden, um die Unternehmen doch einer weltweiten Klageindustrie auszusetzen."

Er fürchte sich nicht vor privaten Klägern mit einem echten Anliegen, betonte der FDP-Politiker Alexander Kulitz, zugleich Gesellschafter des Mittelständlers Esta-Apparatebau. "Ich habe weit mehr Angst vor spezialisierten Abmahnanwälten von NGOs und Verbänden, die die Lücken in meiner Dokumentation suchen."

Aktivisten sehen Verstoß gegen UN-Leitprinzipien

Aus Sicht der Zivilgesellschaft verfehlt das Gesetz jedoch sein Ziel, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu verhindern. Die Initiative Lieferkettengesetz erklärte, es widerspreche den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, wenn Unternehmen bei mittelbaren Zulieferern nicht proaktiv Risiken analysieren, sondern erst aktiv werden, wenn sie "substantiierte Kenntnis" von einer möglichen Menschenrechtsverletzung erlangen.

"Der Gesetzesentwurf berücksichtigt Umweltschäden nur marginal, sanktioniert aber nicht die Zerstörung von Artenvielfalt oder die Schädigung des Klimas", monierte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser.

Als "inakzeptabel" und "grüngewaschenes Feigenblatt" bezeichnete die Linke im Bundestag den Entwurf. "Es wird für Konzerne sogar zum rechtlichen Nachteil, wenn sie die gesamte Lieferkette prüfen", erklärte der Abgeordnete Michel Brandt. "Der Entwurf ist eine Aufforderung zum Wegschauen."

DJG/pso/smh

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