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Bundestagsjuristen: US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 rechtlich möglich

Erscheinungsdatum Website: 28.09.2020 17:40:02
Erscheinungsdatum Publikation: 29.09.2020

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BERLIN (Dow Jones)--Das Völkerrecht steht US-Sanktionen gegen die Ostseepipeline Nord Stream 2 nicht grundsätzlich im Wege, solange die USA dabei "maßvoll" vorgehen. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag, demzufolge die Argumentation der USA zum Schutzprinzip "nicht ganz von der Hand" zu weisen sei.

"Auch wenn eine direkte Auswirkung des Nord Stream 2-Projekts auf die nationale Sicherheit der USA fern liegt, so sind mittelbare Auswirkungen nicht auszuschließen", heißt es.

Im vergangenen Jahr hatten die USA Sanktionen verhängt, die die Fertigstellung der nahezu fertig gebauten russisch-deutschen Gasröhre verhindern sollen. Im Sommer drohten zudem drei US-Senatoren der Betreibergesellschaft des Hafens Sassnitz-Mukran auf Rügen öffentlich mit der "finanziellen Vernichtung", falls dort weiter Dienstleistungen für den Pipeline-Bau bereitgestellt würden. Von dort aus wird die Fertigstellung der letzten rund 150 Kilometer logistisch vorbereitet.

Die Europäische Kommission hat die von den USA beschlossenen Maßnahmen gegen Nord Stream 2 ausdrücklich als völkerrechtswidrig bezeichnet, die deutsche Bundesregierung die extraterritoriale Wirkung kritisiert.

USA mit nationale Sicherheitsinteressen

Laut Wissenschaftlichem Dienst haben wirtschaftlich starke Staaten immer schon danach getrachtet, ihre wirtschaftspolitischen Ziele gegenüber anderen Staaten durch Ausübung von wirtschaftlichem Druck durchzusetzen. "Bleiben die sanktionierenden Staaten dabei 'maßvoll' unterhalb der Intensitätsschwelle, die das Völkerrecht - wenn auch nur sehr vage - für die Verletzung des Interventionsverbotes aufstellt, und berufen sie sich dabei auf den Schutz nationaler Sicherheitsinteressen und die negativen Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft, so kann das Völkerrechts dem Ergreifen von extraterritorialen Sanktionen nur wenig entgegensetzen", heißt es wörtlich in dem Gutachten, das am Montag bekannt wurde.

Dabei eröffne die Berufung eines Staates auf das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Auswirkungs- und Schutzprinzip "legitime Anknüpfungspunkte für extraterritoriale Regelungen, die zwar als "vorgeschoben" bzw. als territoriale Überdehnung einer Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt politisch kritisiert werden können, rechtlich aber nur eingeschränkt justitiabel sind", heißt es in dem Gutachten. Gleichzeitig machten die US-Sanktionen gegen Nord-Stream 2 einmal mehr die völkerrechtlichen "Baustellen" des internationalen Sanktionsrechts deutlich.

Streit tobt seit Jahren

Um den Bau der Pipeline, die russisches Gas über die Ostsee direkt nach Deutschland bringen soll, tobt seit Jahren ein Streit zwischen den USA und Deutschland. Politiker in den USA aber auch in Osteuropa werfen den Betreibern von Nord Stream 2 vor, sie würden mit dem Projekt die Energiesicherheit Europas gefährden. US-Präsident Donald Trump kritisiert zudem, dass man Russland mit den Gaseinnahmen wirtschaftlich unterstütze. Die USA hoffen gleichzeitig darauf, dass Deutschland von dort Fracking-Gas bezieht.

Diplomatische Lösung oder WTO

Laut Wissenschaftlichem Dienst ist es Deutschland unbenommen, im Rahmen etwa eines bilateralen Freundschaftsvertrags oder im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), weiterhin eine diplomatische Lösung mit den USA zu suchen. Auch könnten betroffene deutsche Firmen vor den zuständigen US-Gerichten gegen die amerikanischen Sanktionsmaßnahmen klagen. Die Frage nach staatlichen Entschädigungen für die von US-Sanktionen betroffenen deutschen Unternehmen sei allerdings vor deutschen Gerichten zu klären.

Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen appellierte an die Bundesregierung, trotz des Gutachtens gegen die US-Sanktionen vorzugehen. "Die Bundesregierung darf nicht vor US-Präsident Trump und seinen dreisten Sanktionsdrohungen einknicken", sagte die Bundestagsabgeordnete. "Sollten die angekündigten US-Strafmaßnahmen gegen Sassnitz zur Blockade von Nord Stream 2 tatsächlich umgesetzt werden, muss die Bundesregierung gegen die extraterritorialen US-Sanktionen vor dem Internationalen Gerichtshof vorgehen."

Die Pipeline Nord Stream 2 sollte eigentlich Ende des Jahres oder im kommenden Jahr in Betrieb gehen. Sie soll die Kapazitäten der bestehenden Leitung Nord Stream 1 für russische Gaslieferungen nach Deutschland deutlich erhöhen. Russisches Gas soll direkt von Russland über die Ostsee nach Deutschland transportiert werden. Das Nord-Stream-2-Konsortium wird vom russischen Gazprom-Konzern angeführt, der die Hälfte der Finanzierung des 9,5-Milliarden-Euro-Projekts aufbringt. Zu den Beteiligten gehören die deutschen Unternehmen Uniper und Wintershall.

DJG/aat/smh

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