Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Schröder fordert wegen Nord Stream 2 "schmerzliche Gegensanktionen"

Erscheinungsdatum Website: 01.07.2020 17:00:02
Erscheinungsdatum Publikation: 02.07.2020

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BERLIN (Dow Jones)--Der Nord-Stream-2-Verwaltungsratspräsident und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat eine harte Reaktion auf die drohenden schärferen US-Sanktionen gegen die Ostsee-Pipeline gefordert. Die Bundesregierung müsse auf der EU-Ebene durchsetzen, dass es "schmerzliche Gegensanktionen" gebe, sagte Schröder bei einer Anhörung vor dem Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestags. Mit Blick auf die Sanktionen sprach die SPD-Fraktion sogar von "Erpressung".

Schröder erklärte: "Der schöne Satz 'wehret den Anfängen' ist im Grunde die Form der Politik, die man der Bundesregierung und der Europäischen Kommission jetzt empfehlen muss." Der Ex-Kanzler wurde kürzlich als Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Ölkonzerns Rosneft wiedergewählt und steht wegen seiner Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin stark in der Kritik. Als Sachverständigen hatte ihn Ausschussvorsitzender Klaus Ernst (Die Linke) eingeladen. Der Schritt sorgte für Kritik auch in den eigenen Reihen. Der Energie- und Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin warf Ernst ein "Eigentor" vor.

12 Milliarden Euro an Investitionen bedroht

Schröder betonte, mit den drohenden Sanktionen müssten Investitionen von 12 Milliarden Euro abgeschrieben werden. Die europäischen Verbraucher koste das bis zu vier Milliarden Euro im Jahr für Gas zusätzlich. Schröder wies zugleich Bedenken von Pipeline-Kritikern in den USA und Osteuropa zurück, das Projekt könne die Energiesicherheit Europas gefährden: Angesichts des Atom- und Kohleausstiegs brauche es eine sichere Versorgung.

Zugleich erklärte der Nord-Stream-2-Verwaltungsratspräsident, "dass wir keinen Anlass haben, uns über mangelnde Unterstützung der Bundesregierung zu beschweren. Das betrifft insbesondere... die Frau Bundeskanzlerin". Mit der Ukraine war 2019 ein Vertrag abgeschlossen worden, mit dem die Durchleitung von Erdgas für fünf Jahre sicherstellt wurde. Dies führte Schröder auch auf Verhandlungen Angela Merkels (CDU) mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zurück. Damit hätten sich die Befürchtungen der Ukraine, Einnahmen für den Gastransit zu verlieren, erledigt.

Bundesregierung sieht auch Behörden vom erweiterten Sanktionsgesetz betroffen

Vertreter der Bundesregierung bekräftigten im Wirtschaftsausschuss erneut die Ablehnung extraterritorialer Sanktionen. Mit den Maßnahmen würde "auch verwaltungstechnisches Handeln von Behörden...sanktioniert", sagte Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) anlässlich. Betroffen wären auch "Behörden von befreundeten Regionen wie Dänemark". Es handle sich um einen "massiven Eingriff in unsere Energieversorgung und Souveränität" durch die Vereinigten Staaten. Die Bundesregierung habe deswegen Gespräche mit den USA und der Europäischen Kommission begonnen, so Bareiß. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD), ergänzte, von den Sanktionen wären nicht nur deutsche, sondern auch französische, österreichische und niederländische Unternehmen betroffen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Carsten Schneider erklärte, er sei "wirklich entsetzt über das, was da im Kongress derzeit stattfindet". Dies sei "kein freundschaftlicher Akt mehr, sondern das ist Erpressung". Man müsse über Importzölle und Marktzugangsbeschränkungen nachdenken. Er setze hier auf Unterstützung durch die Koalitionspartner von der Union. "Ansonsten wird man nicht ernst genommen", so Scheider. Es sei wichtig, dass man selbstbestimmt über wirtschaftliche Projekte entscheiden könne. Er beklagte, dass man von den USA "ein bisschen wie ein Dritte-Welt-Staat behandelt" werde.

DIHK empfiehlt Freihandelsabkommen mit den USA

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt jedoch vor einer Eskalationsspirale. DIHK-Außenhandelschef Volker Treier appellierte an die Anwesenden, "nicht auf Sanktionen der USA mit Sanktionen zu antworten". Vielmehr müssten Schutzinstrumente genutzt werden, die mit den Regeln der Welthandelsorganisation konform seien. Mittelfristig müssten Freihandelsabkommen geschlossen werden, "auch mit den USA", empfahl Treier.

Auch der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses - Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft (OAOEV), Michael Harms, stimmte zu, dass es "kurzfristig schwierig sein" werde, "mit konkreten Gegenmaßnahmen zu reagieren". Die Gefahr sei groß, dass sich die Unternehmen zurückzögen. Dennoch müssten EU und Bundesregierung dipomatisch "aus allen Rohren feuern". Es müssten alle Kontakte ins Repräsentantenhaus genutzt werden, um noch eine gangbare Lösung zu finden, so Harms.

Erdgas-Lobby verweist auf Wasserstoff-Nutzung

Der Interessenverband "Zukunft Erdgas" wies darauf hin, dass der Energieträger auch für die Wasserstoff-Produktion genutzt werden könne. "Dafür werden wir Erdgas brauchen, auch solche Pipelines", erklärte Verbandsvertreter Timm Kehler.

Republikaner und Demokraten im US-Senat wollen das deutsch-russische Pipelineprojekt, das kurz vor dem Abschluss steht, mit den zusätzlichen Sanktionen vollständig zum Erliegen bringen. Die Gruppe um den Republikaner Ted Cruz und der Demokratin Jeanne Shaheen argumentiert, damit die Energiesicherheit Europas zu stärken und den Einfluss Russlands zurückzudrängen.

Betroffen wären dann nicht nur die Schiffsfirmen, sondern alle Unternehmen, die direkt oder indirekt am Bau oder Betrieb von Nord Stream 2 beteiligt sind, auch Versicherer und Dienstleister. Das neue Sanktionsgesetz soll das bereits bestehende rückwirkend zum 19. Dezember 2019 ergänzen. Das Nord-Stream-2-Konsortium wird vom russischen Gazprom-Konzern angeführt, der die Hälfte der Finanzierung des 9,5-Milliarden-Euro-Projekts aufbringt. Zu den deutschen Finanzbeteiligten an dem Gasprojekt gehören Wintershall und der Energieversorger Uniper.

DJG/pso/jhe

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