Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Schnabel: EZB-Politik notwendig, angemessen und verhältnismäßig

Erscheinungsdatum Website: 29.06.2020 17:20:02
Erscheinungsdatum Publikation: 30.06.2020

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FRANKFURT (Dow Jones)--Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ist nach Aussage von EZB-Direktorin Isabel Schnabel "notwendig, angemessen und verhältnismäßig". "Der Nutzen unserer Maßnahmen wiegt deutlich schwerer als ihre Kosten", sagte Schnabel am Samstag beim Petersberger Dialog laut dem veröffentlichten Redetext. Für den durchschnittlichen Sparer blieben die zusätzlichen Verluste sehr klein, zudem gebe es keine Anzeichen dafür, dass die Geldpolitik die Haushaltsdisziplin der Staaten beeinflusse.

Schnabels Rede ist der bisher umfassendste Versuch der EZB-Führungsriege, der Kritik an Staatsanleihekäufen zu begegnen, der zuletzt das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Staatsanleihekaufprogramm PSPP neuen Rückhalt gegeben hatte. Folgende Punkte machte Isabel Schnabel:

1. Notwendigkeit

Die EZB-Maßnahmen - Verabschiedung des Pandemiekaufprogramms PEPP und noch großzügiger Liquiditätsversorgung der Banken - waren notwendig zur Stabilisierung der Finanzmärkte. Ohne sie befände sich Europa jetzt in einer Finanzkrise. Wegen der scharfen Rezession dürfte die Inflation für längere Zeit bei null bleiben oder sogar darunter sinken. Auch die Kerninflation verringert sich weiter. Die EZB befürchtet, dass das zu niedrigeren Lohnabschlüssen, Investitionen und geringerem Wachstum führen würde. Deshalb musste sie handeln.

2. Angemessenheit

Die PEPP-Käufe haben ein Maximalvolumen von 1.350 (zunächst: 750) Milliarden Euro. Um einen ähnlichen geldpolitischen Effekt mit einer Senkung des Einlagenzinses zu erzielen, hätte die EZB diesen von derzeit minus 0,50 auf minus 1,70 Prozent reduzieren müssen. Damit der Ankauf von Staatsanleihen nicht die Budgetdisziplin der Regierungen unterminiert, ist das PEPP zeitlich begrenzt und folgt zumindest mittelfristig dem EZB-Kapitalschlüssel. Aktuelle Abweichungen von dieser Richtgröße, die laut Schnabel für die einheitliche Wirksamkeit der Geldpolitik notwendig sind, sollen später - zum Beispiel im Rahmen der Reinvestmentphase - ausgeglichen werden.

3. Verhältnismäßigkeit

Eine Zinssenkung im oben beschriebenen Maß hätte eine stärkere Umverteilungswirkung gehabt als die Anleihekäufe. Wahrscheinlich hätten bei einer solchen Zinssenkung auch normale Sparer der Bank Zinsen auf ihre Einlagen zahlen müssen. Indem die EZB den Banken billigere Liquidität zur Verfügung stellt und Anleihen kauft, verhindert sie liquiditätsgetriebene Unternehmensinsolvenzen und rette Arbeitsplätze. Daher nützt ihre Geldpolitik den Schwächsten der Gesellschaft am stärksten. Negative Auswirkungen der Staatsanleihekäufe für die Budgetdisziplin sind nicht festzustellen. Seit Beginn dieser Käufe 2015 haben sich die Primärsalden der Staatshaushalte positiv entwickelt.

Neben Schnabel haben sich bereits EZB-Chefvolkswirt Philip Lane und EZB-Präsidentin Christine Lagarde in einem ähnlichen Sinn geäußert. Lagarde hatte am Freitag in einem Interview gesagt, die EZB müsse in der aktuellen Corona-Krise die "effektivsten und proportionalsten" Instrumente einsetzen.

Das Kriterium der Proportionalität (Angemessenheit) spielte in dem Anfang erlassenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem 2015 begonnenen PSPP-Programm eine Schlüsselrolle. Das Gericht hatte der EZB vorgeworfen, die Angemessenheit ihrer Geldpolitik nicht ausreichend nachvollziehbar zu begründen. Die EZB hat seither zwar die Zuständigkeit der deutschen Verfassungsrichter für europäischen Angelegenheiten bestritten, andererseits aber versucht, deren Forderungen zu erfüllen.

So war ein bedeutender Teil des Protokolls der EZB-Ratssitzung von 3. und 4. Juni einer grundsätzlichen Erläuterung der aktuellen geldpolitischen Maßnahmen und ihrer Vor- sowie Nachteile gewidmet. Das Verfassungsgericht hatte damit gedroht, der Bundesbank eine weitere Beteiligung am PSPP zu untersagen.

DJG/hab

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