Euro Intern

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EZB lockert Politik notfalls noch weiter

Erscheinungsdatum Website: 05.06.2020 18:50:03
Erscheinungsdatum Publikation: 08.06.2020

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FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat seine Geldpolitik erneut gelockert und die Märkte damit zumindest teilweise überrascht. Aber obwohl die Aufstockung des Pandemiekaufprogramms PEPP etwas stärker als erwartet ausfiel, rechnen Analysten mit einer weiteren Lockerung zu einem späteren Zeitpunkt. Das negative Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfte die EZB hieran nicht hindern.

Der EZB-Rat hob das PEPP-Volumen um 600 Milliarden Euro auf 1.350 Milliarden Euro an und verlängerte das Programm bis Ende Juni 2021 (bisher: Ende 2020). Zudem will die EZB in Bezug auf Zeitpunkt, Wertpapierklasse und Land flexibel bleiben. Darüber hinaus formulierte der Rat eine Wiederanlagepolitik für das PEPP. Tilgungsbeträge aus fällig gewordenen Papieren sollen mindestens bis Ende 2022 wieder angelegt werden. Ein späterer Abbau soll so erfolgen, dass er die gewünschte geldpolitische Ausrichtung nicht beeinträchtigt. An dem schon länger laufenden APP-Programm nahm der Rat keine Änderungen vor.

Leitzinsen bleiben unverändert

Die Zinsen ließ die EZB ebenso unverändert wie die sie betreffende Forward Guidance. Demnach bleiben die Zinsen so lange auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau, bis der EZB-Rat eine deutliche Annäherung der Inflation innerhalb des Projektionszeitraums an seinen Zielwert von knapp 2 Prozent erkennt und sich dies durchgängig in der Kerninflation spiegelt.

Die Lockerung der Geldpolitik ist eine Reaktion auf stark eingetrübte Konjunktur- und Inflationsprognosen. Der volkswirtschaftliche Stab der EZB rechnet in einem Basisszenario für 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 8,7 Prozent und für 2021 sowie 2022 mit BIP-Zuwächsen von 5,2 und 3,3 Prozent. Die Risiken für die Wachstumsprognosen unter dem Basisszenario sind abwärts gerichtet.

Lagarde: Beispiellose Kontraktion der Wirtschaftsaktivität

EZB-Präsidentin Christine Lagarde sprach in ihrer Pressekonferenz von einer "beispiellosen Kontraktion" der Wirtschaftsaktivität, die zu einem schwachen Inflationsdruck führen werde. Auf einen Einbruch im zweiten Quartal dürfte eine Erholung im zweiten Halbjahr folgen. Für die Verbraucherpreise rechnet der EZB-Stab mit Anstiegen von 0,3 (März: 1,1), 0,8 (1,4) und 1,3 (1,6) Prozent.

ING sieht in diesen Inflationsprognosen mögliche Vorboten einer weiteren geldpolitischen Lockerung. "Der schwache Inflationsausblick öffnet die Tür für einen weiteren Stimulus in der Zukunft", schrieb ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski in einem Kommentar und fügte hinzu: "Es ist daran zu erinnern, dass EZB-Direktorin Isabel Schnabel den Inflationsausblick kürzlich den wichtigsten einzelnen Faktor (für die Geldpolitik) genannt hat - man könnte auch von einer Rückkehr zu der einen Kompassnadel sprechen."

Commerzbank: Weitere Lockerung in Zukunft möglich

"Eine weitere Lockerung der Geldpolitik ist in Zukunft möglich, die coronabedingt niedrige Inflation liefert immer gute Argumente", meinte auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Als Möglichkeiten sieht Krämer noch günstigere Konditionen bei Langfristkrediten (TLTRO) oder die Einbeziehung von Anleihen von Unternehmen, die bis zur Corona-Pandemie über ein Investment-Grade-Rating verfügten ("Fallen Angels").

Die Rabobank, die für die aktuelle Sitzung eine Senkung des Einlagenzinses prognostiziert hatte, betrachtet weitere Anleihekäufe als das neue Standardinstrument im Falle eines zusätzlichen Lockerungsbedarfs. "In Abhängigkeit von den hereinkommenden Daten würden wir eine weitere Aufstockung des PEPP gegen Jahresende nicht ausschließen", schrieben die Analysten Bas van Geffen und Elwin de Groot in einem Kommentar. Die jetzt beschlossenen zusätzlichen 600 Milliarden Euro reichten bei aktuellem Kauftempo nicht bis Ende Juni 2021.

Analysten gehen nicht davon aus, dass das negative Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Fähigkeit der EZB zu mehr Staatsanleihekäufen einschränken wird. "Die EZB hat alle Möglichkeiten, dieses Programm weiterzuführen", sagte Alexander Krüger, Chefvolkswirt des Bankhauses Lampe.

Lagarde hatte in der Pressekonferenz gesagt, die EZB sei zuversichtlich, dass in Sachen des Verfassungsgerichtsurteils "eine gute Lösung" gefunden werden könne und dass die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen ständig prüfe, worüber sie in ihren Sitzungsprotokollen auch berichte. "Ein solches Prozedere entspricht zwar nicht ganz der Forderung des Verfassungsgericht, aber das Gericht hat auch kein Interesse an einer Eskalation des Streits und dürfte sich am Ende mit einem Kompromiss zufrieden geben", kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer.

DJG/hab/sha/08.06.2020

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