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Liberalismus versus Protektionismus

Erscheinungsdatum Website: 24.01.2020 14:00:01
Erscheinungsdatum Publikation: 27.01.2020

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KIEW (gus)--Russland hat sich die Verdopplung seiner Agrarexporte bis 2024 zum Ziel gesetzt, aber wie sehen die agrarpolitischen Entwicklungen in den anderen Flächenstaaten der Region, in der Ukraine und Kasachstan, aus? Darüber berichtet der Ost-Auschuss - Osteuropaverein auf seiner Webseite.

Mit der Wahl von Wolodymyr Selenskyj zum Präsidenten der Ukraine ist neue Bewegung in den politischen Betrieb des Landes gekommen: Zunächst ohne Parlamentsrückhalt wenig durchsetzungsstark, hat Selenskyj bei den Wahlen im Juli maßgebliche Unterstützung für seine politischen Pläne erhalten und setzt auf deren rasche Umsetzung. Mit der am 30. August bestätigten Regierung soll der Kampf gegen Korruption und für weitere liberale Wirtschaftsreformen intensiviert werden. Der neue Ministerpräsident Hontscharuk forderte ukrainische und ausländische Investoren in einem Aufruf dazu auf, vor allem in den Bodenmarkt, den Energiebereich, in Infrastrukturprojekte und den Gesundheitssektor zu investieren. Die neue Regierung werde alles tun, um die Risiken für Investoren zu mindern und die Korruption zu bekämpfen.

Vor dem Hintergrund der sich langsam erholenden Wirtschaft und der Landeswährung sind neue Impulse von entscheidender Bedeutung und auch für die Gewährung internationaler Kredite etwa durch den IWF zentral.

Im Zuge der Regierungsbildung war auch die Eingliederung des Agrar- in das Wirtschaftsministerium beschlossen worden - inwiefern hier auch Symbolpolitik und Aktionismus zum Ausdruck kommen, muss sich zeigen. Unter der Leitung von Wirtschaftsminister Tymofij Mylowanow sind insgesamt drei Vizeminister für die Landwirtschaft zuständig. Taras Wysozkij, als langjähriger Geschäftsführer des Ukrainian Agribusiness Club auch für die German Agribusiness Alliance seit Langem ein guter Partner, wird dort insbesondere mit der Etablierung des Bodenmarkts befasst sein und eine klar liberale Linie fahren.

Bodenkauf soll bereits ab 2020 möglich sein ? was zunächst Liquidität binden und sich auf den Absatz landwirtschaftlich nötiger Inputs und weitere Investitionen auswirken wird. Wann sich Bodenbesitz als Beleihungsmöglichkeit zum Zwecke neuer Investitionen etabliert, bleibt abzuwarten. Sollte der Kurs der Landeswährung Griwna weiter steigen, würde dies den Kauf internationaler Produkte beflügeln. Seit 2018 sind Landtechnikkäufe in der Ukraine vor dem Hintergrund der unklaren Bodenmarktentwicklung merklich zurückgegangen.

Besonders zu beobachten sein wird die Haltung der Regierung zu zentralen agrarpolitischen Fragen, denen sich die Wirtschaft gegenübersieht ? darunter die der politisch gewünschten, aber kaum wirtschaftlichen Lokalisierung von Landtechnikproduktion, die Ungleichbehandlung internationaler Unternehmen bei der Besteuerung von Agrarexporten oder die nicht zeitgemäße Ausbildung von Fachkräften für die Landwirtschaft.

Dass Anfang September die Frage der Exporte zu vernichtender Pestizid-Altbestände nach jahrelanger internationaler Intervention positiv gelöst wurde zeigt eine wachsende Offenheit gegenüber solchen Themen. Eine Vernichtung in der Ukraine war aufgrund mangelnder Einrichtungen nicht möglich, ein Export zuvor jedoch lange verboten. Augenmaß ist auch bei der Öffnung des Bodenmarkts extrem wichtig.

Mit der liberalen Grundströmung der neuen Regierung in Kiew ist die Entwicklung der ukrainischen Agrarwirtschaft auf gutem Kurs, vorausgesetzt, das Land und seine Verwaltung sind angemessen auf die Freigabe des Bodenmarkts vorbereitet. Eine grundsätzliche Kursänderung weg von internationaler Kooperation und Abstand zur Europäischen Union ist nicht zu erwarten. Umso wichtiger bleibt, die Bedeutung des Agrarsektors für die ukrainische Volkswirtschaft und die Dringlichkeit von Anträgen der internationalen Agrarwirtschaft gegenüber den größtenteil jungen und neu ins Amt gekommenen Entscheidungsträgern beständig zu unterstreichen. Auch dazu wird die German Agribusiness Alliance ihre gewonnenen Kontakte in Kiew nutzen und ausbauen.

Mit der Wahl von Kassym-Schomart Tokajew zum neuen Präsidenten Kasachstans im Juni 2019 war der Wunschnachfolger von Kasachstans erstem und bislang einzigen Präsidenten Nursultan Nasarbajew wie geplant ins Amt gekommen: Tokajew war zunächst interimistisch im Amt und hatte dann bei überraschend vorgezogenen Neuwahlen erfolgreich kandidiert. Er wird den bisherigen Kurs des Landes ? gekennzeichnet durch wirtschaftliche Liberalisierung, aber auch weiterhin autoritäre Tendenzen ? fortsetzen, ohne das politische Erbe seines Vorgängers in Frage zu stellen. Die von Nasarbajew Ende Februar berufene neue Regierung ist auch unter seinem Nachfolger im Amt ? inklusive Ministerpräsident Askar Mumin und Agrarminister Saparchan Omarow.

Nach wie vor leidet Kasachstan an der drastischen Abwertung seiner Währung Mitte 2015. Anfang September hatte Tokajew in seiner Rede vor dem Parlament als ?Botschaft an das kasachische Volk? die weitere Umsetzung wirtschaftlicher Reformen angemahnt ? für den Agrarsektor unterstrich der Präsident das Potenzial für den Ökolandbau und kündigte die Erhöhung bewässerter Flächen auf 3 Mio ha bis 2030 und damit die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion um das 4,5-fache, weitere ausländische Investitionen, die Steigerung der Veredelungsquote im Land sowie staatliche Unterstützung bei der Auslandsvermarktung kasachischer Agrarprodukte an.

Mit Nachdruck verwies Tokajew zudem darauf, ?ineffizienter Bodennutzung? ein Ende zu bereiten, in der Praxis also wohl gegen brachliegendes Eigentum vorzugehen. Einem freien Bodenverkauf erteilte Tokajew erneut eine Absage ? 2016 war es zu landesweiten, für Kasachstan ungewöhnlich deutlichen Protesten aus Angst vor dem Verkauf von Boden an chinesische Investoren gekommen.

Problematisch bleibt bislang die Industriepolitik des Landes: Zwar hat Kasachstan nach jahrelangen Verhandlungen letzte Verbindlichkeiten aus geplatzten Hermes-Bürgschaften übernommen, doch öffnet es sich internationaler Technologie nur bedingt. Nach wie vor in der Diskussion durch die Regierung ist die Einführung einer sogenannten. ?Recycling fee? auf Landtechnik, die je nach Fertigungsort zu einer Bevorzugung von inländisch hergestellten Modellen führt, damit wettbewerbsverzerrend wirkt und der von Tokajew geforderten Effizienzsteigerung im Agrarsektor nicht zuträglich ist. Trotz intensiver Bemühungen auch der German Agribusiness Alliance, die kasachische Politik von dieser Gebühr abzubringen, ist das Thema noch nicht durch. Insgesamt fährt Kasachstan seit der Abwertung des Tenge 2016 einen tendenziell protektionistischen, an Russlands Politik erinnernden Kurs.

Vor dem Hintergrund der von Präsident Tokajew geforderten Maßnahmen ist mit einer stärkeren internationalen Positionierung als Agrarproduzent zu rechnen ? die damit einhergehenden Chancen - insbesondere in der Tierproduktion - bleiben spannend.

gus/27.1.2020

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