Märkte der Welt

Der Newsletter "Märkte der Welt" enthält - nach Regionen gegliedert - wöchentliche Zusammenfassungen und Hintergrundanalysen der wichtigsten Nachrichten zur Außenwirtschaft sowie Informationen zu Auslandsaktivitäten deutscher Unternehmen unterschiedlichster Branchen. Zudem sind weiterführende Kontaktadressen mit Ansprechpartnern angegeben. Die Berichterstattung wird durch das weltweite Netz der Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) unterstützt und ist mit Grafiken und Charts angereichert.

Zwei Sorgenkinder

Erscheinungsdatum Website: 17.04.2019 12:50:04
Erscheinungsdatum Publikation: 18.04.2019

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Warum die Türkei und Argentinien ?wackeln? / Interview mit Christoph Witte, Credendo

WIESBADEN (NfA)--Der internationale Kreditversicherer Credendo ist spezialisiert auf Schwellen- und Entwicklungsländer. In welchen Märkten die Analysten Chancen, aber auch Risiken sehen war Gegenstand des Gespräches mit Christoph Witte, Country Manager Deutschland, bei Credendo. Das Interview führte H. Jürgen Heinbuch.

NfA: Herr Witte, in welchen Märkten liegen Ihre Schwerpunkte?

Witte: Das ändert sich natürlich von Jahr zu Jahr leicht, aber die „klassischen? Märkte sind Russland, die Türkei, Saudi-Arabien und die VAE sowie Lateinamerika mit Brasilien und Argentinien.

Interessante Länder, in denen ja einiges in Bewegung ist...

In der Tat. Nach der Finanzkrise 2008/2009 haben sich die Schwellen- und Entwicklungsländer grundsätzlich positiv entwickelt. Sie profitierten sehr stark von der Erholung der Rohstoffpreise, darunter auch

Erdöl. 2014/2015 kam es dann zu einer Delle, vorrangig im Stahlsektor. Infolgedessen wurde beispielsweise Brasilien in Mitleidenschaft gezogen, wobei da auch viele Probleme hausgemacht sind. Von einem stabilen Wachstum ging es recht schnell in die Rezession. Und die Ausschläge in diesen Schwellenländern sind dramatischer als in den entwickelten Volkswirtschaften - und das spüren wir dann umgehend. Die Zahl der zu regulierenden Schäden steigt in einem solchen Fall deutlich an.

Wie wirkt sich das sich weltweit ankündigende Ende der Niedrigzinspolitik aus?

Wenn man sich die rein makroökonomischen Daten anschaut, stehen die Länder wesentlich besser dar als vor der Finanzkrise. Die asiatischen Staaten beispielsweise haben erhebliche Währungsreserven angehäuft und überwiegend eine zumindest ausgeglichene Leistungsbilanz. Von daher sind sie bei Weitem nicht mehr so anfällig. Natürlich gibt es immer auch Ausnahmen. In Asien ist dies derzeit Indonesien.

Wie sieht es in Südamerika aus?

Viele Länder haben stark vom Rohstoff-Boom profitiert. Brasilien exportiert mitt-lerweile viele Produkte nach China. Zu-dem wurde im Land eine Industrie aufgebaut, die es derart vor zwanzig Jahren

nicht gab. Die Zentralbank verfügt über ein gigantisches Niveau am liquiden Re-serven. Und doch mussten wir erhebliche Schäden ausgleichen. Obwohl sie es vermocht hätte, hat die Notenbank die heimische Währung nicht gestützt, sondern den Real abgewertet. Die Importrechnungen belaufen sich auf Euro oder US-Dollar. Ein abgewerteter Real macht die Waren natürlich viel teurer. Andererseits hat die Exportwirtschaft davon natürlich profitiert. Heute sieht es wieder besser aus. Wir verzeichnen derzeit eine Normalisierung der Schadensfälle.

So positiv fällt der Blick gen Argentinien aber nicht aus...

Argentinien ist in der Region unser Sorgenkind. Das Land ist derzeit in der Re-zession, der Peso hat innerhalb eines Jahres um mehr als die Hälfte abgewertet. Das hochverschuldete Argentinien hängt noch immer von den internationalen Kapitalmärkten ab - und der Zugang ist nicht wirklich offen. Buenos Aires muss sich auch weiterhin mit dem IWF verständigen, und dessen Forderungen sind im Land natürlich nicht populär. Das ist Wasser auf die Mühlen der peronistischen Opposition und die Wiederwahl von Präsident Mauricio Macri im Oktober ist mehr als nur unsicher.

Nehmen Sie nun Abstand von einer Kreditversicherung für Argentinien? Raten Sie Ihren Kunden von einem Engagement in dem Land ab?

Ein Rückzug ist für uns kaum möglich. Unsere Kunden können ja nicht so einfach ihr ganzes Geschäft umstellen. Man kann ja nicht einfach die Lieferungen in ein anderes Land umlenken. Wenn wir vorher gesagt haben, wir versichern Argentiniengeschäfte, dann bleibt das auch so - gerade bei unseren Bestandskunden.

Haben Sie eine Blacklist an Ländern - unabhängig von Sanktionen?

Ja, aber sie ist sehr kurz. In Afghanistan werden wir zum Beispiel nicht aktiv. Die Zentralbank verfügt zwar über Devisenreserven, aber einerseits wollen wir unsere Mitarbeiter nicht in Gefahr bringen und andererseits dürfte es angesichts der Rechtslage sehr schwer sein, Forderungen durchzusetzen. Aber die Nachfrage ist auch sehr gering. Ein weiteres Land ist Eritrea. Von dort erhalten wir seit zehn Jahren keine Finanzdaten mehr, und die Regierung will auch nicht mit dem IWF und der Weltbank zusammenarbeiten.

Die Datenbasis ist also entscheidend?

In jedem Fall. Dies gilt auch für Simbabwe. Aber auf der Liste der Länder, die wir nicht versichern, befindet sich derzeit kein "wichtiges? Schwellen- oder Entwicklungsland.

Die Bundesregierung hat Afrika quasi zur Chefsache gemacht. Spüren Sie etwas von diesem Trend?

Eher nicht. Das hängt aber auch mit unserer Ausrichtung zusammen. Für Credendo ist nicht entscheidend, welches Unternehmen wo investiert, sondern was unsere drei großen Wettbewerber machen. Wenn diese Lieferungen in bestimmte Ländern nicht mehr absichern wollen, steigt bei uns die Nachfrage. In diesem Fall steigen unsere Chancen, in Bezug auf diese Länder zu wachsen.

Wenn die anderen Versicherer die Finger weg lassen, steigen Sie ein?

Das müssen wir jeweils analysieren. Wir halten in jedem Fall die Limits für unsere Stammkunden aufrecht. Die Frage stellt sich beim Neugeschäft. Und da sind wir derzeit im Falle der Türkei eher vorsichtig, weil das Land schon ein großer Markt ist. Da schauen wir uns genau an, um welche Branche es sich dreht.

Wie schätzen Sie die gegenwärtige Lage in der Türkei ein?

Der Markt ist in den letzten Jahren schwieriger geworden. Präsident Recep Tayyib Erdogan hat maßgeblich zu einer Polarisierung der Gesellschaft beigetragen.

Verschärft die Niederlage bei den Kommunalwahlen in Istanbul und Ankara die Entwicklung noch?

Es war sicherlich ein Denkzettel, aber Erdogans AKP sitzt fest im Sattel. Bei landesweiten Wahlen kommt es ja nicht nur auf die Stimmen in den modernen Metropolen an. Die Polarisierung macht das Regieren natürlich nicht leichter. Für uns ist entscheidend, welche wirtschaftlichen Maßnahmen Erdogan ergreift. Er hat teils schon eine ganz eigene Sicht auf die Dinge. Der Staat und die Wirtschaft haben sich in den letzten Boomjahren stark verschuldet - und das wirkt sich nun massiv aus. Durch die Schwäche der Lira wächst das Ausfallsrisiko, aber die Entwicklung kam ja nicht unerwartet. Viele Unterneh-

men haben sich vorbereitet. Das Problem aber liegt bei den Banken. Wenn das Unternehmen seine Außenstände nicht mehr refinanzieren kann, wird es ernst.

Die Türkei ist also im Moment Ihr Schwerpunkt?

Ja, wegen der Bedeutung als Debitorenland, aber auch wegen ihrer Bedeutung als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen. Sicherlich erwarten wir dort vermehrt Schadensfälle, aber bis dies bei uns ankommt, vergeht meist ein halbes Jahr. Das zweite Land im Fokus ist derzeit Argentinien. Ein untrügliches Zeichen ist eine Zunahme der Nachfrage.

Blicken wir nach Russland...

Russland ist in den letzten Jahren sehr stabil. Das entscheidende Jahr war 2014 als die Zentralbank im Zuge des Ölpreisverfalls den Rubel-Kurs freigegeben hat. Der neoliberale Gedanke dahinter ist für die russische Volkswirtschaft ein echter Paradigmenwechsel. Überraschenderweise haben wir weniger Schäden verbucht als befürchtet. Nach einer frühzeitigen Information der Notenbank waren die Unternehmen mehr oder weniger darauf vorbereitet. Der Rubel verhält sich seither recht analog zum Ölpreis.

Russlands Konjunktur ist weiterhin vom Öl abhängig?

Die Volkswirtschaft hängt extrem vom Ölpreis ab - sei es die Leistungsbilanz, seien es die Staatsfinanzen. Versuche einer Diversifizierung gibt es schon seit rund zwanzig Jahren. In einigen Bereichen ist dies - nicht zuletzt auch wegen der westlichen Sanktionen - gelungen. Darunter finden sich die Nahrungsmittel- und die nahrungsmittelverarbeitende Industrie sowie der Pharmasektor. Der Export dreht sich aber weiterhin vor allem um Öl und Ölprodukte.

Wovon raten Sie Ihren Kunden derzeit eher ab?

Lassen Sie mich mit dem Gegenteil beginnen. Schwellen- und Entwicklungsländer bieten langfristig größere Chancen als entwickelte Märkte. Auch in diesem Jahr werden sie deutlich schneller wachsen. Wir warnen dagegen vor Ländern, in de-nen die Wirtschaft derzeit schrumpft oder die Währung unter Druck steht. Dies sind natürlich die angesprochenen Türkei und Argentinien. Aber es gibt auch noch ein drittes Sorgenkind: die Zentralafrikanische Währungsunion unter der Quasi-Führung von Kamerun. Die Länder hängen stark vom Ölexport ab. Der Franc CFA ist an den Euro gekoppelt, und das französische Finanzministerium garantiert die Konvertibilität. Der Ölpreisverfall 2014 führte zu erheblichen Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten, in der Folge sanken die Devisenreserven der Währungsunion auf ein bedrohliches Niveau. Mit Unterstützung des Internationalen Währungsfonds und dank des wieder höheren Ölpreises stabilisierte sich die Situation im vergangenen Jahr. Ein niedrigerer Ölpreis würde jedoch die Staaten dazu veranlassen, ihre Ausgaben zu drosseln - oder doch den Franc gegenüber dem Euro abzuwerten. Beides hätte erhebliche Auswirkungen auf die Fähigkeit lokaler Unternehmen, Lieferantenkredite in Euro oder Dollar zu bedienen.

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