Euro Intern

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Die EZB lockert ihre Geldpolitik überraschend

Erscheinungsdatum Website: 07.03.2019 19:20:05
Erscheinungsdatum Publikation: 11.03.2019

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FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Geldpolitik überraschend gelockert. Der EZB-Rat beschloss, den frühestmöglichen Zeitpunkt einer ersten Zinserhöhung auf Ende (bisher: Herbst) 2019 zu verschieben. Außerdem kündigte er eine dritte Serie langfristiger Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO3) an, die allerdings keine so großzügigen Merkmale wie die ab 2020 fällig werdenden TLTRO2 haben werden. Beobachter hatten derartige Maßnahmen teilweise erwartet, allerdings überwiegend noch nicht für die aktuelle Ratssitzung. "Wir wollten aktiv sein, nicht reagieren", sagte Mario Draghi in der Pressekonferenz zur Erläuterung der Beschlüsse.

EZB-Stab senkt Wachstumsprognose für 2019 auf 1,1 (1,7) Prozent

Die EZB hat Marktteilnehmer und Analysten laut Draghi aus zwei Gründen überrascht: Die allgegenwärtige Unsicherheit und die zum Teil deutlich gesenkten Wachstums- und Inflationsprognosen des volkswirtschaftlichen EZB-Stabs. Dieser rechnet für 2019 mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur noch 1,1 (bisher: 1,7) Prozent. Für 2020 wurden 1,6 (1,7) und für 2021 unverändert 1,5 Prozent genannt.

Die Risiken für diesen Ausblick sind nach Einschätzung des Rats noch abwärts gerichtet, worauf Draghi ausdrücklich aufmerksam machte: "Das ist ungewöhnlich", sagte er. Normalerweise sage der EZB-Rat nach einer Senkung der Wachstumsprognosen, dass die Risiken ausgeglichen seien.

Draghi: Externe und interne Faktoren sowie Unsicherheit Grund für Maßnahmen

Draghi führte die Wachstumsschwäche sowohl auf externe als auch auf interne Faktoren zurück: Welthandel, China, Schwellenländer, eine mögliche Verlangsamung des Wachstums in den USA und ein allgemein gesunkenes Vertrauen wegen der "Handelsdiskussionen". Die internen Faktoren seien zum Teil länder- und sektorenspezifisch, wie die deutsche Autoindustrie, hingen zum Teil aber auch mit Italien zusammen.

Auch die Inflationsaussichten schätzt der EZB-Stab laut Draghi schwächer als im Dezember ein. Die Inflationsprognosen wurden auf 1,2 (1,6), 1,5 (1,7) und 1,6 (1,8) Prozent gesenkt und die Kerninflation (ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise) auf 1,2 (1,4), 1,4 (1,6) und 1,6 (1,8) Prozent. Draghi sagte, die über den gesamten Prognosehorizont gesenkten Inflationsprognosen beruhten hauptsächlich auf dem schwächeren kurzfristigen Wachstumsausblick.

Einige Ratsmitglieder wollten Zinsanhebung frühestens im März 2020

Der EZB-Rat hat angesichts dieser Risiken und Prognosesenkungen auch über eine stärkere geldpolitische Reaktion nachgedacht. So hätten einige Ratsmitglieder vorgeschlagen, die erste Zinsanhebung auf frühestens März 2020 zu verschieben. Nicht diskutiert wurden laut Draghi eine Wiederaufnahme des Nettokaufs von Anleihen, eine weitere Senkung des Bankeinlagensatzes (derzeit minus 0,40 Prozent) und so genanntes Helikopter-Geld.

Laut Draghi beurteilen die EZB-Ratsmitglieder sowohl das Deflationsrisiko als auch das Risiko einer Entankerung der Inflationserwartungen als sehr gering. Die Wirtschaft wachse weiter und an den Arbeitsmärkten nehme die Beschäftigung zu, sagte Draghi. Zudem seien die Wachstumsunterschiede innerhalb des Euroraums so gering wie nie.

Überraschend kam für die meisten Beobachter auch die TLTRO-Ankündigung, und zwar sowohl im Hinblick auf den Zeitpunkt als auch auf die zeitliche Ausdehnung. Die EZB will zwischen September 2019 und März 2021 in jedem Quartal ein Geschäft mit zweijähriger Laufzeit begeben, dessen Zins an den während der Laufzeit herrschenden Hauptrefinanzierungssatz gebunden ist. Die Banken dürfen im Rahmen dieser Geschäfte Kredite in Höhe von maximal 30 Prozent ihres berücksichtigungsfähigen Kreditbestands aufnehmen (Stichtag: 28. Februar 2019).

TLTRO3 soll geldpolitische Transmission absichern

Die TLTRO3 sollen Anreize für die Aufrechterhaltung günstiger Kreditkonditionen enthalten. "Diese Operationen sollen für günstige Finanzierungsbedingungen sorgen und die geldpolitischen Transmission absichern", teilte die EZB mit. Weitere Details sollen noch veröffentlicht werden. Die EZB will außerdem im Rahmen ihrer Refinanzierungsgeschäfte mindestens bis März 2021 am Prinzip der Vollzuteilung zum Festzins festhalten.

"Die TLTRO machen den Euroraum widerstandsfähiger", sagte Draghi in der Pressekonferenz. Bei dem TLTRO3-Beschluss hätten verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt, der wichtigste sei aber der Ausblick für die Bankrefinanzierung der nächsten Jahre gewesen.

Draghi: Beschlüsse fielen einstimmig

Im Juni fällt die Restlaufzeit des ersten Geschäfts der zweiten Serie zielgerichteter langfristiger Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO2) unter ein Jahr. Knapp 400 Milliarden Euro an EZB-Krediten helfen dann nicht mehr bei der Erfüllung regulatorischer Liquiditätskennziffern. Insgesamt werden in den zwölf Monaten ab Juni 2020 TLTRO von 739 Milliarden Euro fällig. Die gegenüber den TLTRO2 geänderte Ausgestaltung der TLTRO3 begründete Draghi mit den veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen.

Die geldpolitischen Beschlüsse fielen laut Draghi einstimmig. Das sei ein wichtiges Signal für den Zusammenhalt des EZB-Rats, sagte er.

DJG/hab/smh//11.03.2019

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